Der männliche Makel: Roman (German Edition)
emotionsgeladenen Gespräche im Stil von Lady Di droht.
»Hm?«, brummle ich und beuge mich tief über den Briefstapel, den ich demonstrativ sortiere.
»Lily hört einfach nicht auf, über ihren Dad zu reden. Das ist mittlerweile eine fixe Idee bei ihr.«
Übrigens wird dieser Satz von einem Blick begleitet, der wohl »Wenn du öfter da wärst, hättest du es schon mitgekriegt« bedeuten soll.
»Ach, nein, nicht das schon wieder …«
»Doch, das schon wieder. Du musst mir zuhören, Eloise. Es ist morgens beim Aufwachen ihr erstes Thema und das Letzte, wonach sie mich beim Ins-Bett-Bringen fragt. Wann treffe ich ihn, wo ist er, habt ihr ihn schon gefunden, wo sucht ihr? Die arme Kleine lässt nicht locker. Und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass sich das von selbst wieder legt, wie du gedacht hast.«
Gut, jetzt bin ich ganz Ohr.
»Überleg mal«, spricht Helen weiter, »wäre es denn so schlimm, wenn wir ein bisschen Detektiv spielen und ihn aufspüren würden? Ich biete mich gern an, die Telefonate und die ganze andere Arbeit zu übernehmen. Mir ist klar, wie beschäftigt du bist, aber vertrau mir. Du müsstest keinen Finger krummmachen. Außerdem würde ich dir immer Bericht erstatten und nichts ohne dein Einverständnis tun …«
Ich stehe stocksteif da und werfe ihr einen eisigen Blick
zu.
»Nein … das heißt … das ist natürlich absolut klar …«, rudert sie hastig zurück, als sie bemerkt, wie wenig ich diesem Geschwätz abgewinnen kann. »Selbstverständlich wollen wir nicht, dass er ständig Umgang mit ihr hat. Lily soll doch nur seinen Namen und sein Gesicht kennen. Mehr nicht. Damit sie einen Schlussstrich unter die Sache ziehen kann … und dann die Angelegenheit vergisst. Inzwischen macht mir ihre Obsession wirklich Sorgen, und ich halte das für die beste Problemlösung …«
Ihre Stimme erstirbt, und sie wartet auf meine Antwort. »Also … äh … was hältst du davon?«, fügt sie sicherheitshalber hinzu.
»Helen«, beginne ich langsam. Ich habe die Arme verschränkt und fange vor lauter Müdigkeit schon an zu schwanken. »Bist du vollständig übergeschnappt? Wie kannst du dieses Thema überhaupt zur Sprache bringen? Warum sollte ich mir diese Mühe machen? Lily ist noch nicht einmal drei. In ein paar Tagen wird sie es vergessen haben.«
»Aber sie vergisst es nicht, warum will das nicht in deinen Schädel?«, beharrt Helen. »Du arbeitest die ganze Woche rund um die Uhr und kriegst gar nicht mit, dass sie pausenlos nach ihm fragt …«
»Ach, so ist es also.« Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich in den Sessel ihr gegenüber fallen. »Los, dann spiel schon den Rabenmuttertrumpf aus.«
Wut steigt in mir auf, und die Müdigkeit ist plötzlich wie weggeblasen. Muss ich mir so etwas von einer Frau anhören, die erst seit ein paar Tagen hier wohnt? Und die mir jetzt erzählen will, was das Beste für meine Tochter ist? Begreift sie denn nicht, wie gerne ich mich selbst um sie kümmern würde? Doch dann besinne ich mich auf meine guten Manieren und erinnere mich daran, wie viel ich ihr schulde, weil sie als Einzige für mich in die Bresche gesprungen ist.
»Tut mir leid, ich wollte nicht so patzig sein.« Ich nehme mich zusammen, entschuldige mich und zwinge mich, mit tiefer Stimme zu sprechen und nicht emotional zu werden, koste es, was es wolle. »Ich wollte dich wirklich nicht anpflaumen.«
»Schon gut, ich denke, nach knapp achtundzwanzig Jahren bin ich an dich gewöhnt.« Sie lächelt gütig.
Als sie mich erwartungsvoll ansieht, da sie offenbar mit einem ausführlicheren Gespräch rechnet, seufze ich wieder tief.
»Die Sache ist, dass ich sehr müde bin. Und offen gestanden habe ich keine Lust, immer wieder dasselbe Thema mit dir durchzukauen. Lilys Vater aufzuspüren kommt überhaupt nicht in Frage. Und um absolut ehrlich zu sein, würde ich mich sehr freuen, wenn du die Sache endlich auf sich beruhen lassen könntest …«
»Ich mache das doch nur für Lily.« Wieder ein reizendes Lächeln. Sie weigert sich, sauer zu werden. Wie Doris Day unter Zen-Einfluss.
»Du kannst dich nicht einfach davor drücken«, redet sie fröhlich weiter, ohne die aufgestaute Wut zu beachten, die aus meiner Richtung zu ihr hinüberweht. »Früher oder später wird sie sich selbst auf die Suche nach ihm machen …«
»Ja klar, vielleicht mit achtzehn. Warum befasse ich mich nicht mit dem Problem, wenn es so weit ist? Wie oft soll ich dir noch erklären, Helen, dass es absolut
Weitere Kostenlose Bücher