Der männliche Makel: Roman (German Edition)
bereits lesen, setzt ihre Spielsachen allein zusammen und kann sich, was noch bemerkenswerter ist, selbst beschäftigen, ohne dass es ihr, wie so vielen anderen Kindern, langweilig wird. Zu meiner Überraschung war sie sehr früh musikalisch, und als ich ihr ein Klavier gekauft habe, hat sie sich sofort darauf gestürzt. Noch ist sie zu klein für Klavierunterricht, doch sobald sie so weit ist, lasse ich sofort einen Klavierlehrer kommen. Um ehrlich zu sein, kann ich es gar nicht erwarten, dass sie endlich drei wird, weil dann erst ein richtiger Intelligenztest möglich ist. Denn ich weiß, dass sie eine hohe Punktzahl erreichen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
»Ich wette, ihr Vater ist … Chefarzt in der Kardiologie der Blackrock Clinic«, verkündet Helen träumerisch. »Vielleicht ist er auch Dirigent, weil sie so musikalisch ist. Bei den Philharmonikern in der New Yorker Met. Oder er ist ein mit Preisen ausgezeichneter Physiker, der womöglich sogar den Nobelpreis gewinnen wird … aber eines steht fest, er sieht sicher spitze aus. Sie ist ja so ein reizender kleiner Engel …«
»Hm«, brummle ich nur und muss zugeben, dass ich neugierig geworden bin.
»Wie dem auch sei«, fährt sie fort, weiterhin in ihre Phantasiewelt versunken. Ich glaube, inzwischen nimmt sie mich kaum noch wahr. »Würdest du es an seiner Stelle nicht wissen wollen, dass du so eine wundervolle kleine Tochter hast?«
Offen gestanden weiß ich selbst so wenig über Lilys Vater, dass es ans Lächerliche grenzt. Und zu meinem eigenen Erstaunen mache ich mir inzwischen Gedanken darüber, was eigentlich nicht meine Art ist. Nach Lilys Geburt habe ich die Frage, wer er wohl sein könnte, aus meinem Kopf verbannt. Sie ist mein, sagte ich mir. Ganz allein mein. Doch eines steht fest: Wer und wo er auch sein mag, er ist sicher ein ganz besonderer Mensch, Lily ist schließlich der lebende Beweis dafür.
Die Fruchtbarkeitsklinik, an die ich mich gewendet habe, trug den unsäglichen Namen Reilly Institute, was mir damals sehr gefiel. Für mich klang das nach einer Einrichtung, in der man Abendkurse besucht. Nicht nach einem Krankenhaus, wo man alles über sein Privatleben und seine Krankengeschichte preisgeben, sich splitternackt ausziehen und dann den möglicherweise peinlichsten medizinischen Eingriff der Menschheitsgeschichte über sich ergehen lassen muss. Ich erspare Ihnen die Einzelheiten und verrate nur, dass man dazu mit entblößtem Unterleib auf einen eiskalten Metalltisch gelegt und mit unzähligen, ebenfalls eiskalten Spekula traktiert wird. Den Rest überlasse ich Ihrer Phantasie. Nur eines können Sie mir glauben: Keine der Foltermethoden, denen Hexen im Mittelalter ausgesetzt waren, kann qualvoller, schmerzhafter und herabwürdigender gewesen sein.
Mittlerweile kennen Sie mich ja. Davor hatte ich natürlich meine Hausaufgaben gemacht, und zwar gründlich. Zuerst brachte ich von der besorgten und zum Glück einfühlsamen Schwester in Erfahrung, ob die Samenbank wirklich nur, sagen wir mal, einen gewissen Spendertyp akzeptiere. Denn da war ich wählerisch. Ich wollte einen weißen, intelligenten und begabten Mann aus guter Familie, wie Helen es ausdrücken würde. Also bombardierte ich die arme, geduldige Schwester mit Tausenden von Fragen. Wie alt seien die Spender im Durchschnitt? (Wie ich aus meinen eigenen ausführlichen Recherchen zu diesem Thema wusste, ist unter vierzig vorzuziehen. Die Spermien sind dann beweglicher.) Auf welche Weise und wann verzichten die Spender schriftlich auf sämtliche mit ihrem Sperma gezeugten Kinder? Und, was am wichtigsten war, wie genau würde die Vertraulichkeit gewährleistet? Mein Verhör brachte die Frau sicher fast zur Verzweiflung. Ich verlangte eine vollständige Liste der Spenderprofile und forderte dann Informationen über die körperlichen Merkmale, die Rasse, den ethnischen Hintergrund, die Schulbildung, den Beruf, den allgemeinen Gesundheitszustand und die Hobbys und Interessen jedes Kandidaten. Einige Samenbanken stellen sogar Fotos zur Verfügung, die ich rasch begutachtete und dann beiseitelegte. Irgendwie vereinfachte es die ganze peinliche Prozedur, mit der Nummer auf einem Spenderprofil kein Gesicht verbinden zu können.
Es vermittelte mir das Gefühl, die Kontrolle zu behalten, wenn das irgendwie verständlich klingt.
Es ist keine Übertreibung, dass die Angelegenheit einige Wochen in Anspruch nahm, denn ich durchforstete jedes einzelne Profil, wohl
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