Der männliche Makel: Roman (German Edition)
besser, ihr Foto. In Farbe. Damit Mutti und alle Freunde es sehen.
Der erste Schritt ist erstaunlich einfach. Am nächsten Tag in der Redaktion schließe ich meine Bürotür und telefoniere. Dabei senke ich die Stimme und bemühe mich um einen diskreten, ruhigen und sachlichen Tonfall.
»Hallo, Reilly Institute, an wen kann ich Sie weiterverbinden?«
Die Stimme der Frau klingt knapp und sachlich. Also erkläre ich ihr die Situation und sage, ich müsste dringend meine Patientenakte von vor vier Jahren einsehen. Es tut mir schrecklich leid, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen, doch ich fürchte, solche Informationen können wir nicht weitergeben. Zufällig aber habe ich dieses bürokratische Gelaber vorhergesehen und bin bereit.
Ja, das sei mir bewusst, erwidere ich, doch die Situation sei recht außergewöhnlich. Ich säße nämlich gerade an einem Artikel über Fruchtbarkeitskliniken in und um Dublin und müsse dafür recherchieren. Natürlich werde der Artikel auf meinen persönlichen Erfahrungen basieren. Ich füge sogar hinzu, wobei mich meine unverfrorene Lüge selbst erstaunt, dass ich vorhätte, ein Farbfoto vom Reilly Institute mit allen Schikanen zu bringen.
Komisch, wie einem der kreative Umgang mit der Wahrheit in Fleisch und Blut übergeht, wenn man lange genug bei der Post arbeitet.
Und es ist tatsächlich ein Kinderspiel. Eine kurze, zögerliche Pause, dann wird ein Vorgesetzter ans Telefon geholt. Das Gespräch wird, einschließlich Bestechungsversuch, wörtlich wiederholt, und schon sind wir im Geschäft.
Meine Akte wird wieder geöffnet, und zwar mit folgendem Ergebnis: Sein Name ist, sage und schreibe, William Goldsmith.
Natürlich heißt er William, denke ich ein wenig selbstzufrieden, lehne mich in meinem Bürostuhl zurück und blicke träumerisch aus dem Fenster, ein Luxus, den ich mir nur selten gönne. Der Name William hat mir schon immer gut gefallen. Sportliche, schneidige, kultivierte Männer haben immer Namen wie William. Plötzlich steht mir das Bild von Prinz William an seinem Hochzeitstag vor Augen. In seiner scharlachroten Uniformjacke mit den vielen Orden auf der durchtrainierten Brust sah er einfach hinreißend aus.
Das Beste ist, dass er, zumindest zum Zeitpunkt, als er im Reilly Institute das Formular ausgefüllt hat, Doktorand am Trinity College war. Es folgen einige Einzelheiten, die ich bereits kannte und an die ich mich noch gut erinnere. Er ist genauso alt wie ich, eins fünfundachtzig groß, blond und blauäugig. Natürlich steht keine Adresse dabei, doch das ist die geringste Herausforderung.
Herrje, warum habe ich das nicht schon vor Jahren getan?
Es ist nicht nur, dass Lily ihn kennenlernen will. Inzwischen kriege ich auch Lust dazu.
Also gut. Nächste Haltestelle: Trinity College.
Bevor ich wieder Zeit für mich und den Schritt zwei habe, muss ich erst mal zwei Redaktionssitzungen erdulden. Mittlerweile kauere ich auf der Stuhlkante und kann es kaum erwarten, mich wieder in mein Büro zu flüchten. Wieder knalle ich die Tür hinter mir zu, rufe das Trinity College an und lasse mich mit der Studentenkanzlei verbinden. Ich stelle Nachforschungen über einen Doktoranden namens William Goldsmith an, verkünde ich selbstbewusst. Haben Sie Kontaktdaten oder vielleicht eine Adresse?
Während ich eine Ewigkeit in der Warteschleife hänge, kann ich weiter in meinen Phantasien schwelgen. Ich wette, William hat eine tolle Wohnung in der Innenstadt, bequemerweise nur einen Katzensprung vom College entfernt und mit malerischem Blick auf die Stadt, wo er elegante Abendgesellschaften und Dinnerpartys veranstaltet, bei denen alle über den Niedergang unserer Wirtschaft und den Wertverlust ihrer Häuser sprechen. Hallo, schön, dich zu sehen! Wie laufen denn deine Vorlesungen? Hey, ich bin heute Abend bei William eingeladen. Du kennst doch William, William Goldsmith? Natürlich tust du das, jeder kennt ihn. Er ist gerade vom Literarischen und Historischen Debattierclub zum beliebtesten Redner aller Zeiten gewählt worden. Kommst du auch? Die Partys bei William sind immer die besten …
Ob er eine Frau oder Freundin hat? Möglich. Vielleicht sogar andere Kinder.
Aber mein nach jahrelanger Fron im Bergwerk des Journalismus geschärftes Bauchgefühl sagt Nein. Denn wir wollen doch mal ehrlich sein: Sperma an eine Samenbank zu spenden ist nicht unbedingt die typische Freizeitbeschäftigung von Männern, die in einer festen Beziehung leben. Falls meine Antennen
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