Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Gavin Hume, in ein Gespräch vertieft ist. Ich hatte ihm im Vorfeld schon eingebläut, dass sie darauf besteht, mit Lady Hume angesprochen zu werden. Hin und wieder schaut er zu mir hinüber, um sich zu vergewissern, dass es mir gut geht. Ich finde, dass es gar nicht mehr besser werden kann.
Und wie sich herausstellt, behalte ich recht.
Der Totalabsturz steht nämlich unmittelbar bevor.
Den ganzen Nachmittag lang sonne ich mich in meiner so völlig neuen Beliebtheit, bis wir alle, fröhlich und ein wenig beschwipst, die gewaltige Steintreppe hinauf in unsere Zimmer gehen, um uns zum Essen umzuziehen. Ich hatte zwar nur etwa zweieinhalb Gläser Champagner, habe aber kaum etwas gegessen, da ich so mit Reden und Lachen beschäftigt war. Die Folge ist, dass ich nun leicht betrunken und aufgekratzt bin und mein Glück kaum fassen kann, weil alles bis jetzt so unglaublich gut gelaufen ist.
Wie immer der perfekte Gentleman, gibt Jake mir im Bad den Vortritt. Ich ziehe mich um und klatsche mir großzügig Make-up ins Gesicht, während wir uns durch den Türspalt unterhalten.
»Du scheinst ja in deinem Element zu sein«, verkünde ich stolz, schäle mich dabei aus der hautengen Jeans und meinem Oberteil und schlüpfe in ein langes, mit silbernen Pailletten besticktes Cocktailkleid. Dabei halte ich mich mit einer Hand am Handtuchhalter fest, so beschwipst bin ich. Nachdem ich die hauchdünnen Träger hochgeschoben habe, ziehe ich den Reißverschluss so weit zu, wie ich es allein schaffe, und trete dann zurück, um mich im bodenlangen Spiegel zu betrachten, der praktischerweise neben der Badewanne hängt.
Gar nicht schlecht, sage ich mir, während ich um die eigene Achse wirble, um mich von allen Seiten zu begutachten. Das Kleid umschmeichelt erotisch meine Figur, schimmert selbst in der schauderhaften Neonbeleuchtung und verwandelt mich auf eine Art, die dafür sorgt, dass ich mich wunderschön fühle.
Außerdem stelle ich fest, dass meine dunklen Augenringe ein wenig verblasst sind, weil ich in letzter Zeit so oft mit Lily draußen bin. Auch meine Wangen sind rosig wie nie zuvor, was ich wahrscheinlich der Tatsache zu verdanken habe, dass Jake ein Talent darin hat, mich zum Essen zu zwingen. Da ist eindeutig ein Strahlen, das bis jetzt gefehlt hat und das ich nur auf einen Faktor zurückführen kann … ich bin nicht mehr allein.
»Was ist denn mit dieser Shania, Lady Leckmich, los?«, fragt Jake durch die Badezimmertür. »Jemandem wie ihr bin ich, glaube ich, noch nie begegnet.«
»Was meinst du damit?«, rufe ich zurück und versuche, das Gesicht praktisch an den Spiegel über dem Waschbecken gepresst, mich zu schminken. Das ist schwieriger, als es sich anhört, wenn man es nur sehr selten tut.
»Nun, es ist echt komisch. Sie redet zwar mit einem und scheint Interesse an einem einigermaßen normalen Gespräch zu haben, tippt aber die ganze Zeit auf ihrem Telefon herum und twittert pausenlos.«
Ich verdrehe die Augen.
»Stimmt. Ich habe das schon tausendmal erlebt. Sie muss jede Sekunde ihres Lebens dokumentieren. Ich nenne das das ZVI-Syndrom.«
»Und das bedeutet?«
»Zu viele Informationen. Menschen, die twittern müssen, was es bei ihnen zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen gab. Das ist sicher eine ziemlich langweilige Lektüre.«
»Eine richtige Blenderin, oder?«
Schmunzelnd sammle ich feuchte Handtücher ein und hänge sie zum Trocknen auf.
»Und was ist mit deinem Kulturredakteur, diesem Marc?«, spricht Jake weiter. »Der ist doch schwul, oder?«
»Ende des Monats heiratet er«, antworte ich. »Eine eingetragene Partnerschaft mit einem Typen, der in der Anzeigenabteilung der Post arbeitet. Und was noch interessanter ist, er hat es mir heute Nachmittag nicht nur erzählt, sondern mich sogar zur Hochzeit eingeladen. Ist das zu fassen?«
»Warum sollte er das nicht tun?«
»Nun, ich kenne ihn jetzt schon seit so vielen Jahren und bin automatisch davon ausgegangen, dass er mich nicht mag. Er und ich liegen uns doch nur ständig in den Haaren.«
»Warum sollte er dich nicht mögen? Herrje, du hättest dich heute Nachmittag sehen sollen. Die Leute sind dir auf Schritt und Tritt gefolgt. Und offenbar wollten sie sich nicht nur bei dir einschleimen, weil du ihre Chefin bist. Sie schienen richtig Spaß mit dir zu haben.«
»Findest du wirklich?«
Das heißt, ich hatte eigentlich auch diesen Eindruck, aber es ist spitze, von einem unbeteiligten Beobachter eine Zweitmeinung einholen zu
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