Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Anblick der beiden weißen Gespenstergesichter, die mich aus großen, erstaunten Augen anschauen, brülle ich vor Lachen fast los.
»Nein, Mama, nein!«, ruft Lily aufgeregt. Ihre Augen funkeln spitzbübisch, als sie mich wegschiebt und dabei kleine bemehlte Handabdrücke auf meinem ordentlichen schwarzen Rock hinterlässt. »Du darfst hier nicht rein! Tante Helen und ich machen eine Überraschung für dich!«
»Gib uns eine Stunde, und komm dann zurück«, bittet mich Helen leise. »Lily will unbedingt Éclairs für dich backen.«
»Was ist denn das für ein Krach?«, fragt Jake. »Bist du noch im Büro?«
»Nichts, gar nichts«, antworte ich rasch und presse die Hand fest aufs Telefon. »Ich muss jetzt aufhören. Aber klar, warum nicht? Dann also in zehn Minuten.«
Ich beende das Gespräch, sage Helen, dass ich in etwa einer Stunde wieder da bin, und haste zum Auto, das in der Auffahrt steht. Von meinen vielen Befürchtungen dreht sich mir alles.
Doch Jake zu sehen, und wenn es nur für eine Stunde ist, wird mich sicher ein wenig beruhigen.
Das tut es irgendwie immer.
Und was soll falsch daran sein, die letzten Tage der Normalität mit ihm zu genießen?
Kapitel elf
Anders als früher findet das Firmenwochenende nicht mehr in einem Schwellenangst erzeugenden Fünf-Sterne-Hotel, sondern in einem bescheideneren Etablissement statt, da die Post mittlerweile nicht mehr so mit dem Geld um sich wirft. Also ist der Schauplatz des diesjährigen Klemmigkeitsfestivals die Davenport Hall, einst eine verfallene Villa in Privatbesitz, doch inzwischen renoviert und zu einer geldbeutelschonenden Drei-Sterne-Herberge umgebaut. Am wichtigsten ist, dass es hier einen riesigen Golfplatz gibt, denn so haben die Tyrannosaurier Gelegenheit, das zu tun, weshalb sie eigentlich hier sind – nämlich auf den Fairways herumzulungern, zu fachsimpeln und auszubaldowern, wer als Nächstes seinen Hut nehmen muss. Obwohl mich die Vorstellung, zwei ganze Tage von Lily getrennt zu sein, fast umbringt, kann ich nur daran denken, dass sie danach ja vielleicht einen Dad haben wird, der darauf brennt, sie kennenzulernen. Falls die Götter mir gewogen sind.
Das Hotel ist eine Autostunde von Dublin entfernt, und ich muss zugeben, dass ich mich unterwegs wirklich über Jakes Gesellschaft freue. Was der morgige Tag auch bringen mag, ich werde den heutigen einfach genießen.
Ich kann gar nicht beschreiben, wie wundervoll es ist, gemeinsam mit einem anderen Menschen anzukommen, auch wenn derjenige nicht der eigene Partner ist. Für eine chronische Eigenbrötlerin wie mich ist das eine ganz neue Erfahrung. Und das Schönste ist, sich mit einem wirklichen Freund an der Seite auf den Weg zu dem grässlichen Getümmel zu machen, das sich »geselliges Beisammensein« nennt. Gut, ich wäre zwar nicht auf die Idee gekommen, ihn einzuladen, doch nun freue ich mich schrecklich darüber, dass er hier ist.
Wie ich zugeben muss, ist es nach all den Jahren, in denen ich mich mutterseelenallein unter die Leute gemischt habe, eine unbeschreibliche Wohltat, einen Freund bei mir zu haben, der mich unterstützt. Er bleibt an meiner Seite, umsorgt mich und achtet darauf, dass ich stets etwas zu trinken habe, und wenn wir getrennt werden, schaut er immer wieder in meine Richtung und zwinkert mir verstohlen zu, wie um zu sagen: »Du machst das prima.«
Es ist bestimmt wundervoll, eine richtige Beziehung mit jemandem zu führen, der so einfühlsam ist und einen unterstützt, denke ich.
Nicht, dass ich das aus Erfahrung wüsste. Nur so eine Vermutung.
Und eins muss ich Jake lassen. Ihn kann nichts aus der Ruhe bringen. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt, als man uns ein Doppelzimmer zugeteilt hat. Auf meine Bitte nach einem zweiten teilte man mir mit, das Hotel sei völlig überbucht, weshalb uns nichts anderes übrig bliebe. Das Bett entpuppte sich als Doppelbett, aber Jake lachte nur über mein peinlich berührtes Schweigen und erbot sich, ganz Gentleman, auf dem Sofa zu schlafen.
Außerdem sieht Jake einfach umwerfend aus. Beim geselligen Zusammensein im Aufenthaltsraum des Hotels trägt er Chinos und ein gebügeltes blaues Hemd. Immer wieder schaue ich unwillkürlich zu ihm hinüber und bewundere ihn, wenn ich glaube, dass er es nicht bemerkt. Er ist einfach unverschämt attraktiv. Allerdings scheint er meine Blicke zu spüren, denn er erwidert sie sofort, lächelt, zwinkert und flüstert mir zu, dass alles gut ist.
Und für den Moment hat er sogar recht.
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