Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Hast du denn gar kein Mitleid mit dem Mann?«
»Glaub mir, ich habe mir Mühe gegeben. Doch du ahnst ja nicht, was man als Politikredakteur alles zu tun hat. Allein die vielen Stunden. Und dann muss man auch noch den Zeitunterschied bedenken, wenn sich gerade in Washington etwas tut …«
»Schon gut, ich verstehe. Die Welt wird untergehen, wenn ihr euch nicht alle mindestens achtzehn Stunden täglich an eure Schreibtische kettet.«
»Ich möchte dich nur warnen, weil Adele mich nicht mag.«
»Eloise, wir können uns auf dieses Wochenende nicht besser vorbereiten, als wir es getan haben, außer du schickst mir von jedem ein Foto mit beiliegendem Lebenslauf. Also komm endlich runter und hör auf zu grübeln, verdammt. Sollen das nicht gesellige und erholsame Tage werden, an denen man ein bisschen Spaß hat? Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich nach dieser Prüfungswoche darauf freue.«
»Spaß? Hast du gerade dieses Wort in Zusammenhang mit einem Firmenwochenende benutzt? Denn ich kann dir nur beteuern, dass es hier nur um Stress, Schweiß, Tränen und Haarausfall geht. Spaß spielt dabei überhaupt keine Rolle.«
»Ich sage doch bloß, dass wir alles Menschenmögliche getan haben. Und jetzt beruhig dich.«
»Ja, ich gebe mir Mühe, einverstanden.«
»Da wäre noch etwas.«
»Was?«, frage ich, überrascht, dass jemand mir Vorschriften macht.
»Wenn man davon ausgeht, dass es sich um ein lässiges Wochenende auf dem Land handelt …«
»Lässig? Vermutlich ist die Stimmung in vielen Straflagern lässiger als bei einem Firmenwochenende der Post .«
»Ich war noch nicht fertig«, fällt er mir ins Wort. »Eigentlich wollte ich über dich reden.«
»Was soll mit mir sein?«
»Erinnerst du dich an den Tag, als du vor meinem Vorstellungsgespräch mit mir einkaufen gegangen bist? Du hast mir Klamotten aufgebrummt, die ich mir nie im Leben ausgesucht hätte. Und anfangs habe ich mich darin schrecklich unwohl gefühlt. Doch ich habe deshalb die Stelle bekommen, und inzwischen bin ich so daran gewöhnt, nicht nur in Sportsachen herumzulaufen …«
»… und tagaus, tagein in Turnschuhen, Gott sei Dank …«
»… dass es mir fast in Fleisch und Blut übergegangen ist, mich anzuziehen … als gehörte ich zur Mittelschicht. Du hingegen …«
»Hast du ein Problem damit, wie ich mich anziehe?«, stoße ich, plötzlich empört, hervor. »Verzeihung, aber meine Kostüme sind alle von Reiss oder von Karen Millen, und ich besitze sogar ein Paar Louboutins.«
»Äh … darf ich raten? Alles schwarz?«
»Nun … ja.« Gut, die Sohlen meiner schicken Schuhe sind knallrot, aber ja, ansonsten ist alles schwarz. Ich betrachte meine Kleidung von heute, und natürlich ist alles von der blickdichten Strumpfhose bis hin zu dem Kostüm mit der quadratisch geschnittenen Jacke schwarz, schwarz und nochmals schwarz.
»Hab ich mir doch gleich gedacht«, neckt er mich. »Klingt ganz nach dir.«
»Was hast du gegen Schwarz? Es passt in die Redaktion und ist … praktisch, professionell.«
»Gar nichts. Ich habe nur genug davon, dass du immer aussiehst, als wärst du auf dem Weg zu einer Beerdigung.«
Ich schaue noch einmal an mir herunter. Ja, er hat gar nicht so unrecht. Alles schwarz, wohin ich auch sehe.
»Das soll doch ein entspanntes Wochenende auf dem Land werden«, fährt Jake ruhig und gelassen fort. »Würde es dich umbringen, wenn du einmal Jeans und ein sportliches Oberteil anziehst? Ein farbiges? Das würde dir sicher stehen.«
Jeans, denke ich. Das war vor einer Ewigkeit. Ich habe mich seit meiner Collegezeit nicht mehr in Jeans gezwängt.
»Hör zu«, spricht er weiter, ohne sich von meinem Schweigen beirren zu lassen. »Du warst mit mir beim Einkaufen, und nun bin ich dran. Hast du gerade Zeit?«
»Jake, du musst doch lernen! Ich habe nur angerufen, um mich zu erkundigen, wie es bis jetzt mit deinen Prüfungen gelaufen ist.«
»Schau, ich büffle seit heute Morgen um halb sieben. Mir raucht der Kopf. Ich hätte wirklich nichts dagegen, eine Stunde vor die Tür zu gehen und Pause zu machen. Ich sag dir was. Wir treffen uns in zwanzig Minuten oben an der Grafton Street. Komm, es ist Donnerstagabend, und die Läden haben länger geöffnet. Du schaffst das ohne Probleme.«
Im nächsten Moment ertönt aus der Küche ein lautes Kreischen. Lily und Helen, die Éclairs backen, scheinen eine besonders wilde Mehlschlacht auszufechten. Ich halte die Hand vor die Sprechmuschel und spähe um die Tür herum. Beim
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