Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Zumindest heute ist wirklich alles gut.
Nicht zu glauben, wie er fröhlich mit allen plaudert, sich unters Volk mischt, fremden Leuten die Hand schüttelt und wissend nickt, wenn sie sich vorstellen. Ich kann buchstäblich sehen, wie in seinen Augen Erkennen aufleuchtet und er den Namen mit den Hintergrundinformationen verknüpft, die ich ihm über jeden der Anwesenden gegeben habe.
So, als hätte er schon immer in diesen Kreisen verkehrt.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich schwören, dass er ein millionenschwerer Geschäftsmann ist, der die Rezession auf wundersame Weise überstanden hat. Er könnte auch ein wohlhabender und erfolgreicher Hedgefonds-Manager sein, der sich ein wohlverdientes erholsames Wochenende gönnt. Nie und nimmer würde man auch nur im Entferntesten vermuten, dass dieser Mann erst vor wenigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen wurde und nur auf Bewährung auf freiem Fuß ist.
Ich habe den Überblick verloren, wie viele Leute mich inzwischen darauf angesprochen haben, wie sympathisch sie meinen neuen Partner finden. Meine Einwände (»Tja, wir sind eigentlich nur gut befreundet …«) werden abgetan. Die Gerüchteküche brodelt auf Hochtouren. Die Ergebnisse erreichen mich wie eigentlich immer mit der üblichen Verzögerung von etwa dreißig Minuten.
Sie sind ja so ein hübsches Paar … Und sein Einfluss auf Eloise Elliot ist wirklich erstaunlich … seit einiger Zeit ist sie wie ausgewechselt … so viel lockerer … gar nicht mehr die Sklaventreiberin von früher … und schau sie dir nur an! Sie trägt doch tatsächlich Jeans, anstatt wie sonst in einem ihrer immer gleichen einschüchternden Businesskostümen herumzulaufen … schade, dass sie diesen Jake nicht schon vor ein paar Jahren kennengelernt hat … uns wäre einiges erspart geblieben, das kann ich dir sagen …
Und da ist noch etwas, warum ich heute Nachmittag so gute Laune habe. Ich war noch nie im Leben beliebt, aber das hat sich jetzt schlagartig geändert. Es fängt mit Adele Turner an, Robbies Frau, die sich mir gegenüber normalerweise herablassend und kühl verhält. Nun kommt sie tatsächlich auf mich zu und umarmt mich! Sie drückt mich so fest, dass mir fast die Luft wegbleibt, und ich weiß, dass es von Herzen ist. Dann bedankt sie sich wortreich dafür, dass ich Robbie freigegeben habe, damit er bei der Firmung ihrer Tochter dabei sein konnte. Es habe ihnen den Tag gerettet, und sie sei mir so dankbar. Danach fragt sie mich, ob ich Robbie wirklich persönlich vertreten hätte, was ich abtue und mich stattdessen erkundige, wie die Firmung selbst so gelaufen sei.
Die Nächste ist Jenny Wilson aus der Buchhaltung – auch keine Anhängerin von mir, seit ich im Zuge der letzten Kündigungswelle ihre Stelle auf drei Tage zusammenstreichen musste. Sie lächelt, ist sehr gesprächig und sagt, sie habe gehört, was ich für die arme Rachel getan hätte, die außerdem ihre beste Freundin sei. Sie habe sie vor Kurzem zu Hause besucht, und es gehe ihr schon viel besser.
»Das war wirklich rücksichtsvoll von dir, Eloise«, verkündet sie mit aufrichtigem Blick. »Du hättest das nicht tun müssen. Die meisten Vorgesetzten wären nicht so einfühlsam gewesen. Rachel war sehr gerührt, das kann ich dir sagen. Und wir anderen auch, als es sich herumgesprochen hat.« Natürlich winke ich bescheiden ab.
Doch ich muss zugeben, dass es mir runtergeht wie Öl.
Bei grauenhaft langweiligen Veranstaltungen wie diesen werde ich normalerweise von einem der Tyrannosaurier in die Ecke gedrängt und bis zum Erbrechen mit seinem Golfhandicap zugetextet. Ansonsten stehe ich, einen Drink in der Hand, allein am Rand, ohne mit jemandem zu reden, sehe zu, wie die anderen Spaß haben, und spüre, wie blanker Hass mir entgegenschlägt. Oh, und ich schaue alle paar Minuten auf mein iPhone, damit es nicht den Eindruck macht, als würde es mich stören, dass sich niemand mit mir abgibt.
Und jetzt ist alles anders. Zum ersten Mal im Leben finde ich mich mitten in einer großen Gruppe von Kollegen wieder, die sich alle angeregt mit mir unterhalten, mich in ihre Anspielungen einschließen und mir das Gefühl vermitteln, dass ich wirklich dazugehöre. Und ich genieße es. Es ist ein wundervolles Gefühl, und zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass mir bis jetzt gar nicht klar war, was für tolle Kollegen ich habe.
Und das Beste ist, dass ich aus den Augenwinkeln einen Blick auf Jake erhasche, der gerade mit Shania, der Frau von Sir
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