Der Magier von Fairhaven
Tau – alles darunter war wertlos. Und dann das Brennholz. Im Umkreis von einer Meile um Elparta gab es keine Waldungen, der Schnee fiel stetig und die Holzvorräte schrumpften rasch. Fydel hatte natürlich darauf bestanden, dass es Cerryls Aufgabe sei, Feuerholz und alles andere zu beschaffen.
Überraschenderweise war ein Lastkahn mit Vorräten aus Gallos gekommen, aber er hatte hauptsächlich Fässer mit Mehl und gepökeltes Schweinefleisch geladen und daneben nur noch ein halbes Dutzend Käselaibe. Die Lanzenreiter würden nicht verhungern, aber sie würden noch lauter murren als üblich.
Cerryl schluckte den Ärger herunter und blickte zu den letzten Häusern des Viertels auf der linken Straßenseite. Etwa vierhundert Ellen weiter würden sie die Straße erreichen, die bergauf zu dem Gebäude führte, das ihm als Büro und Amtssitz diente.
Hinter den Ritzen der Fensterläden eines der Häuser auf der linken Seite tauchte ein Gesicht auf – dort hatte wohl einer der Unteroffiziere, die Senglat unterstellt waren, seine Leute untergebracht. Nein – es war eine Frau, eine der wenigen Unteroffizierinnen, die es gab. Jrynn war ihr Name.
»Ser …?« Die Stimme war leise, sanft … weiblich.
Cerryl drehte den Kopf herum und zögerte. Er spürte nicht nur die Gestalt in der Gasse auf der rechten Seite, die im Schnee und dem früh dunkelnden Winterabend mit bloßem Auge kaum zu erkennen war, sondern auch einen Anflug von Chaos – und dahinter noch eine zweite Gestalt.
Er warf sich im Sattel zur Seite, noch ehe er den Armbrustschuss aus der Gasse hörte. Er lenkte den Wallach in die Richtung der Gestalt oder der Gestalten. Einer langte nach etwas – eine weitere Armbrust?
Cerryl sammelte Chaos um sich, kämpfte gegen den lähmenden Schnee und gegen den Krampf im Bauch an und ließ den Wallach in raschem Trab zur schmalen Lücke zwischen zwei zerstörten Gebäuden an der Ostseite der Straße laufen.
Die gedämpfte, zaghaft abgeschossene Feuerkugel schien wie in Zeitlupe durch den weißen Vorhang zu kriechen. Cerryl sammelte noch mehr Chaos um sich, bis er vor Anstrengung fast keuchte. Es kam ihm beinahe vor, als wäre er unter Wasser und müsste sich bis zur Oberfläche eines tosenden Stroms hoch kämpfen.
Er sammelte Chaos um sich und schleuderte noch eine Feuerkugel durch das Weiß, das seine Anstrengungen behinderte.
Hinter sich hörte er die Pferde seiner Begleiter. »Ser? Was ist los, Ser? Ser?«
Cerryl zügelte abrupt sein Pferd, als die zweite Gestalt ausglitt und zur Seite umkippte. Cerryls Atem ging unregelmäßig und er fühlte sich völlig ausgelaugt. Das Chaos, das er heraufbeschworen hatte, hätte ausreichen sollen, um ein ganzes Haus in Trümmer zu legen. Aber der Feuerstoß hatte nur einen Teil der Schulter und der Brust der Frau zerstört, die gerufen hatte. Das Gesicht des Mannes war an der Seite verbrannt und in der Brust hatte er ein verkohltes Loch.
Cerryl versuchte wieder zu Atem zu kommen. Beinahe traurig betrachtete er die beiden Toten.
Die Frau war früher einmal schön gewesen, der Mann allem Anschein nach gut gebaut. Unter dem zerfetzten braunen Mantel des Mannes waren die Überreste einer Uniform zu sehen.
»Kennst du ihn, Buetyr?«, fragte Cerryl den Lanzenreiter, der neben ihm sein Pferd gezügelt hatte.
»Nein, Ser. Von seinem Gesicht ist nicht viel übrig.« Obwohl der Schnee die Geräusche dämpfte, war das Schlucken des Mannes nicht zu überhören.
Cerryl wartete, bis er wieder bei Kräften war. Ein Freund eines Unruhestifters? Der Unruhestifter, der desertiert war? Ein Einheimischer, der eine Uniform gestohlen hatte? Aber was war mit der Frau? Wer weiß? Einzig sicher ist nur, dass du bei allem, was du tust, irgendjemandem auf die Füße trittst.
»Und was jetzt, Ser?«, fragte Buetyr.
»Einen Augenblick«, gab Cerryl müde zurück. »Einen Augenblick.« Der Schnee auf seinem Kragen schmolz weiterhin und tropfte in den Nacken; er schauderte. Dann richtete er langsam das Chaos auf die Toten, die auf der dünnen weißen Schneedecke lagen.
Es zischte und eine letzte Feuerkugel verzehrte die Körper.
Nach der Hitze und dem kurzen Lichtblitz blieb nur noch weiße Asche auf dem Schnee zurück. Ein leichter kalter Wind wehte durch die Straße, fegte Asche und Schneeflocken weg, hob sie und ließ sie woanders wieder sinken.
Cerryl zog an den Zügeln des Wallachs und lenkte sein Pferd zu seinem Quartier. Er wusste, dass es wieder Spekulationen über seine Härte geben
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