Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
Vergnügen hatte, Euch kennenzulernen«, sagte die Dame. Ihre Stimme klang lieblich und sanft und schön.
    »Ich schätze nicht, Mistress Modesty«, erwiderte Peggy. »Mein Name ist Peggy. Ich glaube, Ihr wart vor Jahren mit meinem Papa bekannt.«
    »Wenn Ihr mir vielleicht seinen Namen nennen könntet?«
    »Horace«, antwortete Peggy. »Horace Guester von Hatrack, Hio.«
    Peggy schaute den Sturm, den die Erwähnung dieses Namens im Herzensfeuer der Frau auslöste – frohe Erinnerungen, aber auch eine Spur von Furcht davor, was dieses fremde Mädchen wohl im Schilde führen mochte. Und doch legte sich diese Furcht sehr schnell wieder – ihr Mann war vor mehreren Jahren gestorben und dadurch jenseits des Schmerzes. Und keines dieser Gefühle spiegelte sich im Antlitz der Dame wider, das nach wie vor in völliger Anmut seinen lieblichen und freundlichen Ausdruck bewahrte. Modesty wandte sich an das Hausmädchen und sprach ein paar Worte in fließendem Deutsch. Das Mädchen machte einen Knicks und verschwand.
    »Hat Euer Vater Euch geschickt?« fragte die Dame. Doch ihre stumme Frage lautete: Hat dein Vater dir gesagt, was ich ihm bedeutet habe und er mir?
    »Nein«, antwortete Peggy, »ich bin auf eigene Faust hierhergekommen. Er würde wohl sterben, wenn er erführe, daß ich Euren Namen kenne. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich eine Fackel bin, Mistress Modesty. Er hat keine Geheimnisse, nicht vor mir. Die hat niemand.«
    Modestys Reaktion auf diese Nachricht überraschte Peggy kein bißchen. Die meisten Leute hätten sofort an all die Geheimnisse gedacht, von denen sie hofften, daß Peggy sie nicht erraten würde. Statt dessen dachte diese Dame daran, wie schrecklich es für Peggy sein mußte, Dinge zu wissen, die man nicht wissen durfte. »Wie lange geht das schon so?« fragte sie leise. »Doch bestimmt nicht, als Ihr noch ein kleines Kind wart? Der Herr ist zu barmherzig, um den Geist eines Kindes mit solchem Wissen zu belasten.«
    »Ich schätze, da hat sich der Herr bei mir wohl nicht sonderlich viel Mühe gegeben«, meinte Peggy.
    Die Dame streckte die Hand aus und berührte Peggy an der Wange. Peggy wußte, daß die Dame bemerkt hatte, daß sie vom Staub der Straße etwas schmutzig war. Doch woran die Dame hauptsächlich dachte, waren nicht Kleider oder Reinlichkeit. Eine Fackel, dachte sie. Deshalb trägt ein so junges Mädchen eine solche kalte, abweisende Miene. Dieses Mädchen hat zuviel erfahren müssen und ist dadurch hartgeworden.
    »Warum seid Ihr zu mir gekommen?« fragte Modesty. »Ihr wolltet doch nicht mir oder Eurem Vater wegen einer solch alten Unschicklichkeit Schaden zufügen?«
    »Oh, nein, nein, Ma'am«, antwortete Peggy. Noch nie im Leben war ihr ihre eigene Stimme so scharf vorgekommen, verglichen mit dieser Dame krächzte sie wie eine Krähe. »Wenn ich Fackel genug bin, um Euer Geheimnis zu schauen, dann bin ich auch Fackel genug, um zu sehen, daß darin auch etwas Gutes war und nicht nur Sünde. Und was die Sünde angeht, so büßt Papa noch immer dafür. Jedes Jahr seines Lebens zahlt er doppelt und dreifach drauf.«
    Modesty traten Tränen in die Augen. »Ich hatte gehofft«, murmelte sie, »ich hatte gehofft, die Zeit würde die Schande verblassen lassen, so daß er sich jetzt mit Freude daran erinnern würde. Wie einer jener uralten, verblichenen Wandteppiche in England, deren Farben nicht mehr strahlen, deren Bilder aber der reine Abglanz der Schönheit selbst bleiben.«
    Peggy hatte ihr mitteilen können, daß ihr Vater mehr als nur Freude empfand, daß er alle Gefühle, die er für sie gehegt hatte, aufs neue durchlebte, als sei alles erst gestern geschehen. Aber das war Papas Geheimnis, und sie durfte es nicht verraten.
    Modesty führte ein Tüchlein an die Augen, um die Tränen abzuwischen, die darin schimmerten. »Ich habe all die Jahre zu keiner Menschenseele davon gesprochen. Ich habe mein Herz nur dem Herrn ausgeschüttet, und der hat mir vergeben. Und doch finde ich es irgendwie beschwingend, mit jemandem darüber reden zu können, dessen Gesicht ich mit meinen eigenen Augen sehen kann, und nicht nur in meiner Vorstellung. Sagt mir, Kind, wenn Ihr nicht als Racheengel gekommen seid, seid Ihr dann vielleicht als Engel der Vergebung zu mir gekommen?«
    Mistress Modesty sprach mit solcher Eleganz, daß Peggy sich dabei ertappte, wie sie nach der Sprache der Bücher griff, die sie gelesen hatte, anstatt so zu sprechen, wie sie es normalerweise tat. »Ich bin eine … eine

Weitere Kostenlose Bücher