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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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nie aufgegeben, das seine zu beobachten. Vielleicht erschwerte das die Kontrolle über ihre Gabe, doch was nützte es überhaupt, irgend etwas zu lernen, wenn sie dadurch die Verbindung zu diesem Jungen verlor? Also brauchte sie nicht erst nach ihm zu suchen; im Hinterkopf wußte sie immer, wo er war, wo sein Herzensfeuer brannte. In den vergangenen Jahren hatte sie zwar gelernt, ihn nicht unentwegt vor dem inneren Auge zu sehen, aber sie konnte ihn doch jederzeit wieder sichtbar machen. Und das tat sie nun.
    Er hob gerade hinter einer Schmiede ein Loch aus. Aber diese Arbeit beachtete sie kaum, denn auch Alvin tat es nicht. Was im Augenblick am stärksten in seinem Herzensfeuer loderte, war der Zorn. Irgend jemand hatte ihn ungerecht behandelt – aber das konnte doch wohl kaum etwas Neues sein, oder? Makepeace, der früher einmal der gerechteste aller Meister gewesen war, war immer neidischer auf Alvins Fähigkeiten im Schmiedehandwerk geworden, und in seinem Neid hatte er zur Ungerechtigkeit gegriffen, leugnete er Alvins Begabung um so heftiger, je mehr sein Lehrjunge ihn darin übertraf. Alvin mußte täglich mit Ungerechtigkeit leben, doch noch nie hatte Peggy einen solchen Zorn in ihm geschaut.
    »Stimmt etwas nicht, Miss Margaret?« Die Stimme des Mannes, der gerade mit ihr tanzte, klang besorgt. Peggy war stehengeblieben, mitten auf dem Tanzboden. Die Musik spielte noch immer, und die Paare bewegten sich im Tanz, doch in ihrer unmittelbaren Umgebung waren die anderen Tänzer stehengeblieben und musterten sie.
    »Ich kann nicht … weitermachen«, sagte sie. Sie war überrascht, festzustellen, daß die Furcht ihr den Atem verschlagen hatte. Wovor fürchtete sie sich nur?
    »Wollt Ihr den Ballsaal verlassen?« fragte er. Wie hieß er nur? Im Augenblick kannte sie nur einen einzigen Namen: Alvin.
    »Bitte«, sagte sie. Sie stürzte sich auf ihn, während sie zu den geöffneten Türen hinüberschritten, die auf die Veranda führten. Die Menge teilte sich; sie bemerkte es nicht einmal.
    Es war, als würde nun all der Zorn, den Alvin in den Jahren der Arbeit unter Makepeace Smith aufgestaut hatte, ausbrechen, als sei jeder Stich seiner Schaufel ein Stich der Rache. Ein Rutengänger, ein wandernder Wassersucher hatte ihn erzürnt; dieser Mann war es, dem Alvin Schaden zufügen wollte. Doch der Rutengänger bekümmerte Peggy nicht, auch nicht seine Beleidigung, wie gemein oder schrecklich sie auch gewesen sein mochte. Was sie sorgte, war Alvin. Konnte er denn nicht erkennen, daß er einen Akt der Vernichtung beging, wenn er, so tief in Haß versunken, grub? Wußte er denn nicht, daß man den Entmacher zu sich einlud, wenn man an der Zerstörung arbeitete? Wenn die eigene Arbeit das Entmachten war, dann konnte der Entmacher einen Menschen auch für sich beanspruchen.
    Draußen war die Luft kühler, die Dämmerung war gekommen, und der letzte Fetzen der Sonne warf ein rötliches Licht über die Wiesen des Gouverneurshauses. »Miss Margaret, ich hoffe, ich habe nichts getan, um Euch der Ohnmacht nahe zu bringen.«
    »Nein, ich falle nicht in Ohnmacht. Könnt Ihr mir verzeihen? Mir ist nur ein Gedanke gekommen, das ist alles. Einer, über den ich nachgrübeln muß.«
    Er musterte sie merkwürdig berührt. Wenn Frauen sich von einem Mann trennen wollten, behaupteten sie immer, der Ohnmacht nahe zu sein. Aber nicht Miss Margaret – Peggy wußte, daß der Mann verwirrt war. Die Etikette der Ohnmacht war unzweideutig. Aber wie sollte sich ein Gentleman einer Frau gegenüber verhalten, der ›gerade ein Gedanke gekommen‹ war?
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich versichere Euch, mein Freund – mir geht es recht gut, und es hat mir viel Vergnügen bereitet, mit Euch zu tanzen. Ich hoffe, daß wir noch einmal zusammen tanzen werden. Aber jetzt, im Augenblick, muß ich allein sein.«
    Sie sah, wie ihre Worte seine Sorge milderten. Ihn als ›mein Freund« zu bezeichnen, war eine Verheißung, daß sie sich seiner erinnern würde. Ihre Hoffnung, mit ihm erneut zu tanzen, war so aufrichtig, daß er ihr einfach glauben mußte. Also nahm er die Worte so, wie sie ausgesprochen wurden, und verneigte sich mit einem Lächeln. Danach sah sie nicht einmal mehr, wie er fortging.
    Ihre Aufmerksamkeit war weit entfernt, in Hatrack River, wo der Lehrling Alvin gerade den Entmacher heraufbeschwor, ohne zu merken, was er tat. Peggy erforschte und erforschte sein Herzensfeuer, versuchte etwas aufzuspüren, was sie tun konnte, um ihm

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