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Der magische Pflug

Der magische Pflug

Titel: Der magische Pflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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gerade bewegte. Dieses Wissen brauchte sie nicht zu verbergen. Sie durfte nur ihre intimsten Geheimnisse nicht kennen – und die waren für sie unsichtbar, solange sie sie nicht sehen wollte.
    Und sie wollte sie auch nicht sehen. Denn in ihrer neuen Losgelöstheit entdeckte sie eine Art der Freiheit, wie sie sie noch nie im Leben erfahren hatte. Nun konnte sie die Menschen so nehmen, wie sie sich gaben. Sie konnte ihre Gesellschaft genießen, ohne ihre verborgene Gier oder – noch schrecklicher – ihre gefährlichen Zukünfte zu kennen und sich deshalb für diese verantwortlich zu fühlen. Das verlieh ihrem Tanzen, ihrem Lachen, ihrer Konversation eine Art beschwingte Verrücktheit; kein anderer Mensch auf dem Ball fühlte sich so frei wie Modestys junge Freundin Margaret, weil kein anderer jemals eine so verzweifelte Einengung hatte durchmachen müssen, wie Peggy ihr ganzes Leben lang zuvor.
    Und so war Peggys Abend auf dem Gouverneursball einfach wunderbar. Es war kein echter Triumph – jeder Mann, der ihre Freundschaft gewann, wurde nicht erobert, sondern befreit, ja, er wurde zum Sieger. Was sie empfand, war die reine Freude, und so genossen auch jene, die bei ihr waren, ihre Gesellschaft. Solche guten Gefühle ließen sich nicht zügeln. Selbst jene, die hinter ihren Fächern bösartig tratschten, spürten die Freude dieses Abends; viele von ihnen sagten zur Frau des Gouverneurs, daß dies der schönste Ball sei, der jemals in Dekane oder sogar im ganzen Staat Suskwahenny gegeben worden sei.
    Und manche von ihnen begriffen sogar, wer dem Abend so viel Freude beschert hatte. Dazu gehörten auch die Frau des Gouverneurs und Mistress Modesty. Peggy sah sie, wie sie sich einmal unterhielten, während sie sich selbst gerade anmutig auf dem Tanzboden drehte, um sich ihrem Partner wieder mit einem Lächeln zuzuwenden, das sie vor schierer Freude, mit ihm tanzen zu dürfen, auflachen ließ. Die Gouverneursfrau lächelte und nickte und zeigte mit ihrem Fächer auf den Tanzboden, und für einen kurzen Augenblick trafen sich ihre Blicke. Voller Wärme lächelte Peggy zum Gruß; die Frau des Gouverneurs erwiderte ihr Lächeln und nickte. Diese Geste blieb nicht unbemerkt. Ab jetzt würde Peggy bei jeder Feier willkommen sein, die sie in Dekane aufsuchen wollte – es durften auch zwei – oder drei pro Abend sein, wenn sie wollte, und das an jedem Abend des Jahres.
    Und doch schwelgte Peggy nicht in diesem Erfolg, denn sie erkannte, wie klein er in Wirklichkeit war. Zwar hatte sie nun Zugang zu den festlichsten Veranstaltungen in Dekane gewonnen – aber Dekane war nur die Hauptstadt eines Staats am Rande des amerikanischen Frontier. Wenn sie sich wirklich nach gesellschaftlichen Erfolgen sehnte, würde sie sich schon nach Camelot begeben müssen, um dort den Applaus des Königshauses zu gewinnen – und von dort nach Europa, um in Wien, Paris, Warschau oder Madrid empfangen zu werden. Doch selbst dann, selbst wenn sie mit jedem gekrönten Haupt getanzt hätte, würde ihr das nichts bedeuten. Sie würde sterben, wie alle starben, aber wäre die Welt durch ihr Tanzen besser dran?
    Sie hatte wahre Größe im Herzensfeuer eines neugeborenen Babys entdeckt. Das war vor vierzehn Jahren gewesen. Sie hatte das Kind beschützt, weil sie seine Zukunft liebte; sie hatte auch begonnen, den Jungen selbst zu lieben; für das, was er war, für die Art von Seele, die er besaß. Wichtiger noch aber als ihre Gefühle für den Lehrling Alvin war ihre Liebe zu der Aufgabe, die vor ihm lag. Könige und Königinnen bauten Königreiche oder verloren sie; Händler machten Vermögen oder verschleuderten sie; Künstler schufen Werke, die im Laufe der Zeit verblaßten oder in Vergessenheit gerieten. Allein der Lehrling Alvin trug in sich den Keim des Machens, das der Zeit trotzen würde, wider die endlose Vergeudung des Entmachers. Und als sie heute abend tanzte, da tanzte sie also für Alvin. Und sie wußte, daß sie vielleicht auch Alvins Liebe würde gewinnen können, wenn sie schon die Liebe dieser Fremden hier gewinnen konnte. Und vielleicht würde sie sich einen Platz an seiner Seite auf seinem Weg zur Kristallstadt verdienen, jenem Ort, dessen Bürger alle zu schauen wußten wie Fackeln, zu bauen wie Macher, und zu lieben mit der Reinheit Christi.
    Als sie an Alvin dachte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf sein fernes Herzensfeuer. Obwohl sie sich geschult hatte, nicht mehr in die Herzensfeuer ihrer Umgebung zu schauen, hatte sie es

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