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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif
Autoren: Guillaume Prévost
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vor den Kisten stand ein Napf voller zernagter Knochenstücke.
    Sam nahm das Kleidungsstück und faltete es auseinander: Es war aus recht grobem Stoff genäht, doch es hatte eine Kapuze und vor allem war es dunkel, anthrazit gefärbt, ideal, um seine helle Kleidung zu verdecken und mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Sam zog den Mantel an und verließ sein Versteck. Mann und Hund waren nirgends in Sicht . . . Ungestört erreichte er das immer noch hell erleuchtete Zelt am anderen Ende des Lagers. Beim Näherkommen nahm er außer dem Licht noch etwas anderes wahr: leise Musik, die leicht knisternden, gedämpften
    Klänge eines ziemlich rhythmisches Stücks. Ein gutes Zeichen: Allan Faulkner liebte Rockmusik! Er zog die mit einem Moskitonetz hinterlegten Zeltbahnen ein paar Millimeter auseinander und drückte sein Auge an den Spalt. Er sah nur eine Papptafel mit der Zeichnung eines Lageplans – der Plan von Setnis Grabkammer? – mit einigen unleserlichen Randnotizen. Er hob die Zeltplane ein Stück höher . . . Es schien als Schlafzimmer und Büro gleichzeitig zu dienen und der Bewohner war offenbar nicht gerade die geborene Putzfee. Der mit bunten Arabesken verzierte Teppich lag voller zusammengeknüllter Papierkugeln. Shorts und Hemden häuften sich auf einem Klappstuhl, mehrere kleine Statuen lagen achtlos hingeworfen auf dem Feldbett . . . Auf dem Tisch, von dem Sam nur einen Teil sehen konnte, türmten sich Bücher und Zeitschriften in windschiefen Stapeln, ein großer Kassettenrekorder lief, dazwischen leere Alkoholflaschen und ... Samuel beugte sich leicht nach vorn: mittendrin schlief, den angewinkelten Arm unter den Kopf auf den Tisch geschoben, ein Mann.
    Sam bückte sich und kroch lautlos ins Zelt. Selbst bei der gedämpften Lautstärke hätten die Gitarren- und Schlagzeugklänge jedes andere Geräusch übertönt. Das Lied erinnerte ihn an einen bekannten Rocksong, den sein Vater sehr gemocht hatte, nur in einer etwas exotischen Version mit unverständlichem Text.
    Er schlich um die Papptafel herum, stieg über zwei zerbrochene Becher und eine leere Chipstüte und stand schließlich vor einer geöffneten Truhe neben dem Schreibtisch. Sie enthielt ein paar alte, abgeschabte Bücher, vor allem aber ein aufgeschlagenes Fotoalbum mit einer Serie Polaroidbildern, die seine Aufmerksamkeit erregten. Sie zeigten alle dasselbe Haus im viktorianischen Stil mit abgeblätterten grünen Fensterläden, umgeben von einem hohen Metallzaun. Ein halbes Dutzend Hunde bevölkerte den Garten und auf zwei, von der Seite aufgenommenen Fotos sah man ein schäumendes Maul wütend an dem Metallgitter nagen. Abgesehen von der Farbe der Fensterläden und dem Aussehen eines Hundezwingers handelte es sich ohne Zweifel um das Haus in Saint Mary, aufgenommen vor etwa zwanzig bis dreißig Jahren. Aus Neugier blätterte er die Seiten des Ordners weiter um: immer wieder nur Aufnahmen aus der Barnboimstraße ... Alte Postkarten, Amateurfotos in Schwarz-Weiß, zum Schluss etwa zehn Schnappschüsse in Farbe. Lange bevor er sich in Kanada niedergelassen hatte, hatte Allan bereits ein ganzes Fotoalbum mit Aufnahmen seiner zukünftigen Buchhandlung gesammelt!
    Stille herrschte, nachdem die letzten Noten des Rocksongs verklungen waren, und Sam warf einen beunruhigten Blick zum Schreibtisch hinüber. Selbst wenn es sich bei dem Unbekannten tatsächlich um seinen Vater handeln sollte, würde es ihm womöglich nicht gefallen, von einem kleinen Dieb geweckt zu werden, der in seinen Sachen herumschnüffelte. Sam wartete den Anfang des nächsten Stückes ab und legte das Album zurück an seinen Platz. Dann schlich er auf allen vieren bis zum Stuhl heran. Der Mann trug ein blaues Hemd, das in einer strohfarbenen Hose steckte, und ein weißes Tuch um den Hals. Doch es war unmöglich, seine Gesichtszüge zu erkennen.
    Immer noch auf den Knien, umrundete Sam den Stuhl und sah sich plötzlich Auge in Auge mit einem metallischen Gegenstand, der vom Gürtel des Schlafenden baumelte: eine Pistole . . . Das hier war tatsächlich kein Ausgrabungslager mehr, sondern eine Hochsicherheitszone!
    Langsam richtete er sich auf und runzelte die Stirn: Der über dem Schreibtisch zusammengesunkene Mann war nicht sein Vater ... Er war viel älter, mindestens fünfzig, ein Dreitagebart bedeckte seine Wangen, die graue Gesichtsfarbe und der geöffnete Mund – Speichel rann auf ein Bündel Blätter, die eng mit einer feinen schwarzen Schrift beschrieben waren. Inmitten der
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