Der magische Reif
Traum des ewigen Lebens, die Augen zu verschließen. Schlimmer noch, ich weigerte mich, jenen Gehör zu schenken, die versuchten, mich zu warnen . . .«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. War er doch im Begriff, sich das von der Seele zu reden, was während all dieser Zeit auf ihm gelastet hatte:
Eines Tages haben die Gelehrten des Hofes mich aufgesucht, um mir ihren Verdacht in Bezug auf Meister Lu und seine wahren Absichten mitzuteilen. Ich habe . . . ich habe mich nicht nur geweigert, ihnen zuzuhören, nein, ich habe mich von blinder Wut hinreißen lassen. Sie verlangten nichts Geringeres als die Verbannung desjenigen, der mich unsterblich machen würde! Ermutigt von dieser elenden Schlange, deren vergiftete Worte in meinen Ohren brausten, beschloss ich, an ihnen ein Exempel zu statuieren. Ungeachtet ihrer inständigen Bitten, ungeachtet der Tränenströme und des Geschreis ihrer Frauen und Kinder, ließ ich vierhundertsechzig von ihnen hinrichten, um meinen Zorn zu besänftigen. Lebendig begraben«, seufzte er, »auf meinen Befehl und nach meinem Willen . . .«
Qin vergrub seinen Kopf in den Händen und rieb sich die Schläfen.
»Ihre Schreie verfolgen mich noch immer . . . Seltsam, nicht wahr? Ich, der ich immer unberührt geblieben war vom Tod meiner Feinde, ich habe von jenem Tag an nie wieder geschlafen und gleichzeitig nie wieder das Verlangen nach Unsterblichkeit verspürt. Wer weiß? Vielleicht hatte mich mein Aufenthalt in den heiligen Bergen trotz allem doch besser gemacht, als ich eigentlich war?«
Er nahm seine Hände vom Gesicht, als erwarte er eine Zustimmung, die Sam ihm wohl kaum hätte geben können.
»Zunächst war ich versucht, mich an jenem zu rächen, den ich für die Ursache des ganzen Übels hielt«, fuhr er fort, »an jenem irregeleiteten Magier mit Namen Lu. Doch das wäre nur ein weiteres Mittel gewesen, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen: dass nämlich einzig und allein ich selbst für dieses Massaker verantwortlich war. Meister Lu zu opfern, hätte bedeutet, einen anderen für meine Verbrechen bezahlen zu lassen . .. Ich habe ihn deshalb lediglich aus meinem Reich verbannt und ihm untersagt, sich meinen Grenzen auf weniger als zehntausend Schritte zu nähern. Und was mich betraf, welche Strafe wäre angemessener gewesen als der Tod? Ich musste mich töten, um meine Untaten zu sühnen . . .
Am Vorabend jenes Tages, an dem ich vorhatte, meinem Dasein ein Ende zu setzen, kam ich ein letztes Mal in dieses Grab, um zu meditieren. Sein Bau war, nach achtzehn endlosen Jahren, soeben fertig gestellt worden, was mir wie ein himmlisches Zeichen erschien . . . Doch anstatt dort ganz allein zu sein, hatte ich eine unvorhergesehene Begegnung: ein kleinwüchsiger Mann mit rasiertem Schädel und dunkler Hautfarbe stand auf einmal wie aus dem Nichts vor mir ... Ich zog mein Schwert, glaubte, der Geist eines jener Gelehrten, die ich kaltblütig hatte umbringen lassen, wollte mich angreifen. Doch er entwaffnete mich auf der Stelle durch ich weiß nicht welchen Zaubertrick. Dann zwang er mich, ihn anzuhören.«
»Ein kleinwüchsiger Mann mit rasiertem Schädel und matter Hautfarbe!«, rief Sam aufgeregt. »Fähig, einen kampferprobten Krieger zu entwaffnen!« Das konnte doch niemand anderes gewesen sein als Setni, der Hohepriester des Amun?
»Er erklärte, er käme aus einer anderen Welt und beherrsche die Kunst, nach Belieben durch die Zeit zu reisen. Dass er wüsste, was sich hier zugetragen hatte, und dass er mir ein Mittel schenken würde, alles wiedergutzumachen. Ich hätte meine Wache herbeirufen können, doch ich wusste sofort, dass dieser Mann die Wahrheit sprach. Ich habe ihn gefragt, warum er mir – wenn er doch in die Vergangenheit zurückgehen konnte – nicht vorschlug, die Hinrichtung der Gelehrten zu verhindern. Aber er behauptete, das Geschehene dürfe man nicht ungeschehen machen, denn wenn man versuche, den Lauf des Schicksals zu beeinflussen, so könne dies eine Kette noch viel verheerenderer Katastrophen auslösen. Und indem man meine, die Dinge zu verbessern, verschlimmere man sie nur . . .«
Hundert Prozent Setni, ohne Zweifel.
»Ich kenne ihn«, versicherte Sam eindringlich. »Das ist der Hüter der Sonnensteine. Ein guter Mensch, von großer Weisheit, der auch mir schon einmal in einem Moment höchster Not geholfen hat. . .«
»Der Hüter der Sonnensteine . . .«, wiederholte der Kaiser. »Das würde passen, ja . . . Denn von diesen seltsamen Steinen war die
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