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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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Kunstkursen schon einmal an der Bildhauerei versucht, was er in sehr guter Erinnerung behalten hatte – wie eigentlich alles, was er im Kunst-Unterricht gelernt hatte. Doch bei diesen Übungen war es eher darum gegangen, aus Ton Tierfiguren herauszuarbeiten . . . Stein behauen war eine ganz andere Geschichte!
    Probehalber wog er den Hammer in der Hand und versuchte sich vorzustellen, wie Peneb, der Vorarbeiter bei der Ausschmückung von Setnis Grabkammer, vor einigen Jahrhunderten darangegangen war, diese klaren und perfekten Formen aus dem Material herauszumeißeln. Wie seine Instrumente über den Stein getanzt waren! Es hatte alles so einfach ausgesehen!
    Sam drückte Merwosers Armreif gegen den Stein, um ungefähr abzuschätzen, wie er Sonne, Strahlen und Transportvertiefung anzuordnen hatte. Er konnte sich -das alles bildlich vorstellen und hätte keine Mühe gehabt, es zu zeichnen, wenn man ihm Papier und Bleistift gegeben hätte. Aber mit Hammer und Meißel . . . Ohne große Überzeugung nahm er seine Werkzeuge zur Hand und begann, den oberen Teil des Steins zu bearbeiten, um die Umrisse der Sonnenscheibe zu markieren. Doch auch nach mehreren Anläufen sah das Ergebnis weder besonders klar noch besonders rund aus. Die Steinsplitter platzten nach allen Seiten hin ab und sein Entwurf einer Sonne sah eher aus wie ein unförmiger, platter Reifen, in dem lauter Nägel steckten. Das fing ja gut an . . .
    Er beschloss also, sich zuerst um die Transportvertiefung zu kümmern, die sicher weniger bildhauerisches Geschick erforderte und ihm gleichzeitig die Gelegenheit verschaffte, seine Technik zu verbessern. Aber auch dabei war das Resultat nicht gerade ermutigend: Entweder hinterließen seine Schläge kaum einen Kratzer auf der steinernen Oberfläche oder es bildeten sich lange hässliche Risse, die sich willkürlich in alle Richtungen zogen, ohne die gewünschte Form zu bekommen. Irgendein Mittel musste er doch finden sein Leben und auch Alicias hingen schließlich davon ab!
    Er schloss die Augen und zwang sich, tief und ruhig zu atmen, um der allmählich in ihm aufsteigenden Panik Einhalt zu gebieten. Überdeutlich spürte er das Pulsieren des Sonnensteins und war davon überzeugt, dass dieser nur daraufwartete, ihn an das gewünschte Ziel zu bringen. Er musste es nur noch schaffen, ihn zu behauen und . . .
    Das Pulsieren des Sonnensteins ... Was hatte Qin ihm geraten? Um von hier fortzukommen, musste er den Rhythmus der Zeit, die in ihm strömte, beeinflussen. Und um das zu tun, musste er zuerst dahin gelangen, sich selbst zu verlangsamen . . . Doch wie verlangsamt man sich selbst?, überlegte Sam skeptisch.
    Im Halbdunkel der Grotte versuchte er, sich noch stärker zu konzentrieren. Sich selbst verlangsamen . . . Den eigenen Herzschlag beeinflussen vielleicht? War es nicht das, was beim Einschlafen passierte? Die Herzfrequenz nahm ab, der Körper schaltete um auf Zeitlupentempo . . . Eigentlich wie bei seinem Vater. Sein Vater, der im Koma lag und dessen Puls kaum noch vorhanden schien .. . Oder sogar wie Qin Shihuangdi selbst, wenn er sich in jenen Zustand versetzte, der seinen Alterungsprozess so gut aufgehalten hatte. Genau, das war es: Um sich zu »verlangsamen«, musste man als Erstes seine Pulsfrequenz senken.
    Samuel zwang sich, jeden störenden Gedanken aus seinem Gehirn zu verbannen: sich auf nichts anderes als auf den Rhythmus tief in seiner Brust zu konzentrieren . .. Indem er sich sammelte und seine ganze Willenskraft auf dieses eine Ziel richtete, kam es ihm vor, als würde er schrittweise in sich selbst hinabsteigen, um seinem eigenen Herzen so nahe wie möglich zu sein. Wenn er sich noch ein bisschen mehr anstrengte, wäre er beinahe in der Lage, den Strömen seines Blutes durch die beiden Herzkammern zu folgen ... Die rechte, die die kostbare Flüssigkeit Richtung Lunge schickte, um sich mit Sauerstoff zu versorgen. Die linke, die es dann zu den restlichen Organen leitete. Die Herzvorhöfe, die sich füllten und wieder leerten, die Klappen, die sich öffneten und schlossen, der Rhythmus des Lebens, der in seinem tiefsten Inneren pulsierte! Und dann, genau dahinter, dieser andere Pulsschlag, besänftigter, ruhiger, an dessen Rhythmus er sich unbedingt anpassen musste . . .
    Im Augenblick fühlte Sam sich sehr gut. Diese Art von tiefem Wohlgefühl, die man auf der Schwelle zum Schlaf empfindet. Obwohl es gleichzeitig ein Zustand absoluter Klarheit war, all seine Sinne waren hellwach und nur auf das

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