Der magische Reif
Rede . . . Während meiner Abwesenheit hatte Meister Lu so einen Stein behauen lassen, mit einer sonderbaren Sonne in dem von Armbrustschützen bewachten Teil des Parks. Er hatte schon angefangen, einen zweiten zu behauen, doch ich habe ihn davongejagt, bevor er seine Arbeit beenden konnte. Ich schlug dem kleinen Mann vor, die Steine zu zerstören, weil sie ihm Sorgen zu machen schienen. Er entgegnete jedoch, dass es einem Sakrileg gleichkäme, diese Art von Bildhauerei zu zerstören. Und dass er eine bessere Idee hätte, wie man sie erhalten und gleichzeitig meiner Reue einen Sinn geben könnte.«
Daraufhin erhob Qin sich und verzog das Gesicht. Er machte ein paar unsichere Schritte auf eine der Licht-Vasen zu und sah hinein.
»Das war vorauszusehen! Es gibt kaum noch Öl, aber Docht ist noch übrig ... Wenn ich genug Kraft hätte, würde ich sie alle auffüllen, damit sie noch Tage und Tage brennen können. Ich habe es bis jetzt so oft getan . . .«
Er wandte sich zu Sam:
»Dazu habe ich mich deinem Hüter der Sonnensteine gegenüber verpflichtet. Ich habe einen Tod vorgetäuscht, mein Begräbnis organisiert und warte hier darauf, dass jemand kommt. Mithilfe der Meditation und dieses Zustands der Erfüllung versuche ich, meinen Aufenthalt so
l ange wie möglich zu verlängern. Von Zeit zu Zeit wache ich auf, esse von dem, was ich in den Geschäften finde,
Überprüfe, ob noch ausreichend Brennstoff in den Lampen ist, erfrische mich an dem Wasser der Drei Quellen, spaziere durch diese Gärten ... In der Hoffnung, dass mein Besucher sich endlich entschließt zu erscheinen.«
»Und Ihr Besucher, das bin ich?«, fragte Sam mit zugeschnürter Kehle.
Der Kaiser stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock.
»Das wird sich herausstellen müssen, mein junger Freund ... Dem kleinen Mann war es äußerst wichtig, dass ich demjenigen, der bis hierher gelangen würde, mündlich eine Nachricht übermitteln könnte. Die Anweisungen sollten ihm nicht in schriftlicher Form dargeboten werden, ich sollte direkt mit ihm sprechen, um sicherzugehen, dass diese wertvollen Informationen nicht in die falschen Hände geraten. Eine Inschrift würde jeder Beliebige lesen können, nicht wahr, oder von einer beschriebenen Bambustafel Kenntnis erlangen. Sogar jemand mit übelsten Absichten. Meine Rolle besteht darin, mich zu versichern, dass derjenige, an den ich diese Nachricht übergebe, ihrer würdig ist. Dein Hüter der Sonnensteine meinte wohl, dass jemand, der so gelebt hat wie ich, bei all meiner Maßlosigkeit und all meinen Makeln, aber auch mit meinem Wunsch zur Buße, in der Lage wäre, die Spreu vom Weizen zu trennen.«
Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Unterhaltung erhellte sich Qins Miene ein wenig:
»Nun ja, abgesehen von deinen erbärmlichen Manieren und deinem offensichtlichen Mangel an Erziehung, denke ich nicht, dass du Böses im Schilde führst. Ich finde es sogar beeindruckend, dass es jemandem in deinem Alter gelungen ist, die von meinen Architekten ersonnenen Fallen zu überlisten . . . Das allein ist schon ein Zeichen, dass du von hohem Stande bist!«
»Wie .. .wie lautet diese Nachricht?«, wollte Sam wissen.
Qin musterte ihn mit durchdringendem Blick.
»Zuerst, mein Junge, muss ich sicher sein, dass du über die notwendigen Qualitäten verfügst. Reich mir deine Hände . ..«
Der Kaiser lehnte seinen Stock an einen der Sessel und nahm seinen Gesprächspartner bei den Handgelenken.
»Jetzt schließe die Augen.«
Sam gehorchte, während die knochigen Finger ihn abtasteten, als wollten sie seinen Puls fühlen.
»Sie sind da, alle beide«, flüsterte der Kaiser. »So wie es sein soll. Du spürst sie, nicht wahr?«
Außer der pergamentartigen Haut des Alten spürte Sam überhaupt nichts.
»Ich . . . ich weiß nicht. . . Was soll ich eigentlich . . .?«
»Konzentriere dich lieber, anstatt zu reden. In deinem Brustkorb, hörst du es nicht? Da ist dein Herzschlag, natürlich, aber auch noch etwas anderes. Ein weiteres Klopfen, ein weiterer Takt . . . Viel langsamer. Wenn ich dich nur berühre, spüre ich ihn schon. Er ist stark, er ist kraftvoll, umso besser ... Es ist der Rhythmus der Zeit. Die meisten Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst, doch er fließt in uns dahin, genau wie in allen anderen Dingen . . . Und wenn du von hier wieder aufbrechen willst, musst du lernen, ihn zu bezwingen. Dich selbst zu verlangsamen, um dich zu zügeln. Dich selbst zu beherrschen, um ihn zu beherrschen . . .
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