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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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erfunden worden war . . . Dann ließ er die Abhandlung wieder unter seinem Hemd verschwinden und befestigte sie mithilfe der Kordel vor dem Bauch. Es kam nicht infrage, dass man ihn verdächtigte, das Buch »ausgeliehen« zu haben, und es ihm wieder wegnahm ... Bei der Gelegenheit warf er durch das Fenster einen prüfenden Blick auf den Himmel: Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne hatte endlich beschlossen, den Nebel aufzulösen. Weiter unten konnte Sam jetzt den Fluss erkennen und die Zugbrücke, die man allerdings hochgezogen hatte, um den Weg zum anderen Flussufer abzuschneiden. Im Hof der Engelsburg drängte sich eine große Anzahl Schaulustiger und Soldaten an den Schießscharten, die sich aufgeregt gestikulierend etwas zuriefen, als wären sie Zuschauer einer Aufführung. Samuel brauchte einen Moment, um die Ursache der ganzen Aufregung zu begreifen: Die Festung war inzwischen von der Außenwelt abgeschnitten, doch viele Flüchtlinge versuchten immer noch hineinzugelangen. So zum Beispiel am Fuße der Außenmauer, wo unzählige Barken die Uferböschung hinaufgezogen wurden und die Menschen in Scharen auf die Festung zustürmten. Oben von den Zinnen warfen Schweizergardisten lange Seile herunter, an denen die Schutzsuchenden unter den Hochrufen der Menge zu ihnen hochkletterten.
    Samuel zögerte keine Sekunde länger: Wenn die Römer mit allen Mittel versuchten, in die Festung hineinzukommen, musste er schleunigst sehen, dass er herauskam ... Er stürzte auf die erste Treppe zu und fragte eine junge, in eine bunte Decke gehüllte Frau nach dem Weg zum Haupthof. Nach einigen Umwegen gelangte er endlich auf den großen Platz, der auf der einen Seite von dem mächtigen Steinturm überragt wurde, auf der anderen von der hochgezogenen Brücke, die den Angreifern eine lange Nase zeigte. Mindestens zweihundert Neugierige drängten sich oben auf den Wehrgängen und unterstützten mit ihren Ratschlägen und aufmunternden Zurufen sowohl die Soldaten, die mit vereinten Kräften an den Seilen zogen, als auch die Unglücklichen, die verzweifelt versuchten, daran hochzuklettern.
    »Haltet euch gut fest, eine Hand nach der anderen . . .«
    »Ausatmen! Vor allen Dingen tief durchatmen . . .«
    »Hau ruck! Hau ruck!«
    Samuel musste seine Ellbogen einsetzen, um sich einen Platz neben einer riesigen nach Westen ausgerichteten Schießscharte zu erkämpfen. Die Nebelschleier, die Rom seit Sonnenaufgang eingehüllt hatten, zerrissen mehr und mehr, sodass an vielen Stellen rote und orangefarbene Dächer sichtbar wurden. Einzelne Kirchtürme, zerfallene Bauwerke und ganze Mauern des Papstpalastes. Die Luft war immer noch vom Kampflärm und vom Wiehern der Pferde erfüllt, doch der Hauptkampf hatte sich in die Straßen des Borgo-Viertels verlagert und es war schwer zu erkennen, wie weit die Eroberung vorangeschritten war. Samuel vertiefte sich in seinen Stadtplan und versuchte herauszufinden, in welche Richtung er sich wenden musste, um Alicia zu befreien. Etwa dreihundert Meter weiter machte der Fluss seine Biegung nach links, dicht an der Stelle vorbei, wo sich der Sonnenstein befinden musste. Dann gab es ein Stück weiter noch eine andere Brücke und auf dem gegenüberliegenden Flussufer, welches Sam interessierte, ein Gewirr enger Gassen, das sich im Nebel verlor. Irgendwo jenseits dieses Viertels, in unbestimmbarer Entfernung, lag Diavilos Lager versteckt. . .
    Samuel blickte über den Rand der Schießscharte in die Tiefe und überlegte, wie er die momentane Lage nutzen konnte. Zwanzig Meter weiter unten flehte eine Gruppe von zehn Menschen mit hochgestreckten Armen darum, gerettet zu werden, während fünf andere sich gerade an die Seile klammerten, um die Mauer zu erklimmen. Samuel dagegen wollte hinunter . . . Wie konnte er das schaffen, ohne dass jemand versuchen würde, ihn aufzuhalten?
    Er sah sich die Gruppe der Flüchtlinge unten vor der Mauer etwas genauer an: Die Mehrzahl der Männer schien noch recht jung, ein älterer Mann mit dichtem grauem Haarschopf war dabei und drei Frauen, die sich ihrer langärmligen Mäntel entledigt hatten, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
    Er würde sich etwas einfallen lassen müssen . . . Die Menge der Schaulustigen, die Soldaten, die allgemeine Aufregung ... Er würde improvisieren müssen, den Überraschungseffekt ausnutzen, um alle zu überrumpeln . . . und ein bisschen Theater spielen!
    »Nonno! – Großvater!«, begann er plötzlich zu schreien und winkte dem alten Mann mit

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