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Der magische Reif

Der magische Reif

Titel: Der magische Reif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Prévost
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blonden Haare hingen wirr herab, Tränenspuren zeichneten ihr Gesicht und die sonst so fröhlichen blauen Augen blickten unendlich verängstigt. Sie trug die gleiche Art Nachthemd, die Lili und er bei ihrer ersten Reise durch die Zeit auch plötzlich angehabt hatten, ihre nackten Beine waren zerkratzt, als wäre sie durch Dornengestrüpp gerannt. Als sie Samuel erkannte, wollte sie etwas rufen, brachte jedoch nur einen erstickten Klagelaut heraus. Sie sah aus wie eine dieser Heiligen auf religiösen Gemälden, wunderschön, und doch würde man sie im nächsten Augenblick opfern.
    Samuel wollte zu ihr stürzen und sie trösten, doch Diavilo trat dazwischen und bohrte ihm seinen Haken in die Magengrube.
    »Einen Schritt weiter und ich schlitze dich auf, mein Junge. Vor den Augen deiner jungen Freundin. Und ich glaube nicht, dass so ein Anblick ihr in ihrem Zustand besonders zuträglich wäre. Hör mir gut zu. Ich habe deine Forderung erfüllt und sie dir herbringen lassen, jetzt wirst du auch meine erfüllen müssen. Und für den Anfang schlage ich dir ein kleines Spiel vor . . .«
    Er zog den Dolch aus seinem Gürtel und warf ihn einem der beiden Schergen zu, der ihn in der Luft auffing. Dann öffnete er die Abhandlung auf einer Seite, wo zwei Sonnensteine abgebildet waren, der eine am Fuße einer Statue auf den Osterinseln, der andere auf der Rückseite eines Brunnens.
    »Wir werden es so machen: Ich zeige auf eine dieser rätselhaften Zeichnungen, die dieses Buch schmücken, und jedes Mal, wenn du nicht in der Lage bist, mir eine überzeugende Erklärung zu liefern, wird mein lieber Pollux deiner Freundin etwas abschneiden. Angefangen mit der linken Hand, warum nicht. Pollux, bitte . . .«
    Der Riese packte den linken Arm der Gefangenen und schob ihren Ärmel hoch, während sein Bruder den Dolch am Handgelenk ansetzte. Wieder brachte Alicia nur einen stummen Schrei heraus.
    »Wir sind uns also einig?«, fragte Diavilo genüsslich. »Also abgemacht. Hättest du also die Güte, mir die Bedeutung dieser eingravierten Sonne zu erklären, die so oft in diesem Zauberbuch auftaucht?«
    Samuel betrachtete die Abbildung der beiden Sonnensteine, auf die der Hauptmann beharrlich zeigte. Für Ausweichmanöver war jetzt keine Zeit mehr ... Er schloss seufzend die Augen. Hoffentlich würde er das, was er jetzt tat, nie bereuen müssen.

 
17.
    Alicia
     
    Samuel hatte die Augen noch immer geschlossen und atmete tief durch. Beruhigen musste er sich vor allem und sich von der Raserei um ihn herum lösen . . . Hauptmann Diavilo wiederholte drohend seine Frage, doch davon durfte Samuel sich jetzt nicht ablenken lassen. Er konzentrierte sich darauf, sich ganz tief in sich selbst zu versenken, wie er es schon einmal in Qins Grabhügel und in der päpstlichen Bibliothek gemacht hatte. Das Pulsieren der Zeit in seinem Brustkorb war kaum wahrnehmbar, aber es war da . . . Der Rhythmus seines eigenen Herzschlags musste in Einklang gebracht werden mit dem langsamen Pulsieren des Sonnensteins. Einen Augenblick lang hatte er den Eindruck, dass das dumpfe Klopfen tief in seinem Inneren erstarb, so schwach und aus so weiter Ferne drang es zu ihm, doch sobald er seine Gedanken auf die beiden Sonnenbilder in der Abhandlung lenkte, wurde es wieder deutlicher. Und langsam und ruhig verschmolzen die beiden Pulsschläge in seiner Brust zu einem . . .
    »Wenn du es nicht anders willst!«, drohte Diavilo. »Pool-luux, schneiiiidee diiiiiiie Haaaaaaand . . .«
    Die Stimme des Hauptmanns drang nur noch verzerrt wie eine sich zu langsam drehende Schallplatte zu ihm, bis seine Worte überhaupt nicht mehr zu verstehen waren.
    Samuel öffnete die Augen: Der Innenraum des Zeltes hatte eine schöne dunkelgrüne Färbung angenommen. Diavilo zeigte noch immer mit wutverzerrtem Gesicht auf die Abhandlung, doch er schien von einer seltsamen Lähmung befallen, als wäre sein Körper eine tonnenschwere Last und als weigerte sich sein Mund zu artikulieren. Nichts als hohl klingende Laute kamen ihm über die Lippen, die sich nur schrittweise formten, während sich seine Lider mühsam schlössen. Hinter ihm schwang Pollux den Dolch hoch in die Luft und hielt mitten in der Bewegung inne, wie von einem unsichtbaren Faden festgehalten. Auch seine Gefangene war von der plötzlichen Benommenheit befallen, statuengleich in einer dramatischen Abwehrhaltung.
    Samuel dagegen schnellte nach vorn wie entfesselt, zuerst auf die kleine Statue zu, um sich den Goldreif wieder zu

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