Der magische Reiter reiter1
träumte sie noch von festlichem Gänsebraten und frisch gebackenem Brot oder gezuckerten Apfelscheiben und würzigem Käse.
Eines Nachts, als Thorne auf der anderen Seite des Lagerfeuers schnarchte und Jendara mit dem Rücken zu ihrer Gefangenen Wache hielt, ließ Karigan wieder die Hand in eine der Taschen ihres Mantels gleiten. Vor Vorfreude lief ihr das Wasser im Mund zusammen, und ihr Magen knurrte – Thorne hatte ihr den ganzen Tag nichts zu essen gegeben.
Sie zog einen Streifen getrocknetes Fleisch heraus, kaute und schluckte hastig, genoss jedoch jeden Bissen. Sie war so sehr mit dem Fleisch beschäftigt, dass ihr erst auffiel, wie Jendara sie anstarrte, als es schon zu spät war. Die Augen der Schwertmeisterin funkelten im Feuerschein.
Karigan straffte sich, machte sich auf einen weiteren Schlag gefasst, auf noch mehr Schmerzen, darauf, dass Jendara Thorne weckte. Sie stopfte sich den restlichen Fleischstreifen in den Mund, weil sie sich keinen Bissen davon nehmen lassen wollte. Trotzig starrte sie Jendara an.
Doch die Schwertmeisterin verzog keine Miene. Sie weckte Thorne nicht und sprang auch nicht zu Karigan herüber, um sie zu schlagen, oder verlangte, dass sie ihre Taschen ausleerte
und ihr die übrigen Lebensmittel gab. Sie sagte kein Wort. Sie blinzelte nur und richtete den Blick wieder auf die unergründlichen Tiefen des nächtlichen Waldes, das Kreuz durchgedrückt. Karigan hütete sich, sie nach ihren Beweggründen zu fragen.
Wenn Karigan nicht von Nahrung träumte, so träumte sie davon, die Brosche wiederzuerlangen, und malte sich aus, was sie mit dem Säbel anfangen würde, wenn sie unsichtbar wäre. Sie träumte auch vom Ring ihrer Mutter, den jetzt Jendara trug. Bisweilen träumte sie, dass ihre Mutter sie wegen ihrer Unachtsamkeit schalt. Andere Male umarmte ihre Mutter sie mit inniger Herzlichkeit, und das Siegel des Clans G’ladheon schien hinter ihnen zum Leben zu erwachen – das Tosen der Ozeane, das Knarren der Planken, der Schrei der Möwen … Dann erwachte sie in einer Realität, die ihr viel seltsamer vorkam als all ihre Träume zusammen. Wie hatte ein einfaches Schulmädchen wie sie sich nur solche Schwierigkeiten aufhalsen können?
Reisende auf der Straße musterten das Trio neugierig. Thorne erzählte seine Geschichte viele Male, und Jendara drückte Karigan die Messerspitze in den Rücken, damit sie keinen Mucks von sich gab. Thornes Ausschmückungen, fand Karigan, wurden allmählich hanebüchen, und wenn er nicht aufpasste, würde er sich eines Tages noch verraten. Am nächsten Nachmittag zog er einen alten Fallensteller auf einem Muli vertraulich zur Seite.
»Weiter die Straße hinunter steht dir ein schrecklicher Anblick bevor«, warnte Thorne den Mann. »Soldaten des Königs, erschlagen bis auf den letzten Mann.«
Der Fallensteller bekam große Augen und rieb sich den grauen Stoppelbart. »Alle tot, sagst du? Wie das?«
»Erdriesen«, sagte Thorne. »Sicher hast du schon gehört, dass sie die Grenzen heimsuchen.«
»Gewiss, aber …«
»Du wirst schon sehen. Doch dieses Mädchen solltest du dir auch ansehen.« Thorne deutete auf Karigan, und der Fallensteller folgte seinem Blick.
»Ich sehe sie.«
» Sie ist verantwortlich.«
Der Fallensteller zupfte am Schnürband seines groben Wollhemds. »Verantwortlich? Sie? Wofür?«
»Für das Massaker.«
»Ich dachte, du hättest gesagt, die Erdriesen …«
»Sie hat sie dorthin geführt«, sagte Thorne eifrig. »Sie hat das Massaker angefangen und selbst viele Wachen erschlagen. Und was sie mit dem Hauptmann angestellt hat … entsetzlich. « Er schüttelte den Kopf.
Der Fallensteller runzelte zweifelnd die Stirn und räusperte sich, als wolle er etwas sagen, dann warf er einen Blick auf Thornes Schwert und überlegte es sich anders.
»Wir bringen dieses Mädchen, diese Verräterin «, Thorne spie das Wort förmlich aus, »nach Sacor vor Gericht. Erst konnten wir ihrer nicht habhaft werden, doch wir schnappten sie, als sie mit ihren Erdriesentruppen gerade einen weiteren Überfall plante – diesmal auf eine unschuldige Siedlung.«
»Sehr wohl, nun, ich muss gehen. Schönen Tag noch.« Der Fallensteller versetzte seinem Muli einen Schlag, so dass es in einen eiligen Trab fiel und eine Wolke aus Straßenstaub aufwirbelte.
Thorne strahlte Jendara mit seinem Zahnlückengrinsen an, zufrieden mit dem kleinen Auftritt. Sie stöhnte und verdrehte die Augen.
Einige Leute, denen Thorne die Geschichte erzählte, waren
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