Der magische Wald
einen hohen Rang bei ihnen bekleidete, führte eine Abteilung nach Süden in die verbotenen Wälder. Fünfundzwanzig Brüder zogen los, und mit ihnen fünfzig Ritter sowie eine mehr als doppelt so große sonstige Gefolgschaft. Sie hatten Maultiere und Pferde für ihr Gepäck und führten Schaf-und Rinderherden mit sich, da sie eine große Siedlung errichten wollten -halb Festung, halb Kirche. Es gibt Gerüchte, daß sie auch ein Stück vom Fleisch ihres Gottes als Talisman bei sich hatten, aber ich bezweifle, daß selbst die Brüder so barbarisch sein könnten. So brachen sie an einem Frühjahrsmorgen singend auf und verschwanden in den Wäldern, zweihundert Seelen. Man hat sie nie wieder gesehen. Mit den Jahren kamen die Gerüchte in die Dörfer. Sie hätten eine Festung gebaut und wären dort belagert worden. Sie wären genauso verwildert wie die Stämme. Die Wyrims hatten sie getötet oder die Kobolde. Der Zauber der Brüder hätte in der Tiefe des Waldes versagt. Sie wären immer weiter in den Süden gezogen, in das Land hinter den Bergen. Der Schwarze Reiter hätte sie in sein Schloß gebracht. Zwei Jahre später wurde eine zweite Expedition ausgesandt. Nur drei Brüdern gingen mit, junge Männer, von denen einer früher ein Myrcaner gewesen war: Phelim, Finn und Dermott. Vierzig Ritter begleiteten das Trio. Auch sie verschluckte der Wald.« Das Feuer knackte und prasselte vor ihnen, ein heller Schein vor der dunklen Umgebung. Dwarmo rührte sich nicht, aber auch er hatte den Kopf geneigt und lauschte Mirkadys Erzählung. »Das war das Ende der Expeditionen in den Süden. Von diesem Zeitpunkt an mieden die Menschen diese Gegend. Gelegentlich verließen Menschen die Wälder an der Grenze des Wolfswaldes — die Gegend, in der wir uns jetzt befinden. Es wurdevon schwarzenSchatteninden Bäumen gemunkelt, von Vampiren, die Kinder entführten und dem Vieh das Blut aussaugten. Von Ghouls, die Jagd auf Menschenfleisch machten.« »Kobolde«, sagte Michael. »Grymyrchs. Ja. Sie waren damals noch vorsichtiger. Heute sind es viel mehr geworden, und sie haben mehr Selbstvertrauen bekommen. Dafür hat der Schwarze Reiter gesorgt. Es heißt, daß die Geister der verschwundenen Expeditionen noch immer zwischen den Bäumen wandern, daß ihre Seelen im Schloß des Schwarzen Reiters gefangengehalten werden.« »Was ist mit ihnen geschehen?« fragte Michael. Er war sicher, daß der Wyrim die Antwort kannte. Mirkady lächelte unbehaglich. »Warum glaubst du, daß ich das weiß?« »Dein Volk scheint alles zu wissen.« »Nun, das stimmt auch«, sagte Mirkady leichthin. »Es ist nur so, daß wir nicht jedem alles erzählen.« »Was geschah?« wiederholte Michael. Das kleine Wesen starrte in die Flammen. »Unser Volk begleitete ihren Zug für eine Weile. Die Kreuze und Messen und diese Dinge hielten uns auf Abstand. Sie kamen zu abgelegenen Siedlungen, Farmen, kleinen Dörfern, deren Bewohner wir kannten und die wir in Ruhe gelassen hatten. Einige von uns kannten sogar die einzelnen Bewohner. Es waren kühne Seelen. Und das mußten sie auch sein, lebten sie doch in einer Gegend, die damals die Ausläufer des Wolfswaldes bildete. Diese Menschen wurden zum Glauben der Brüder bekehrt, entweder durch Überredung oder durch Gewalt. In den größeren Siedlungen blieben ein Bruder und ein paar Ritter zurück, um dafür Sorge zu tragen, daß der Glaube auch Wurzeln schlug. Der Rest der Kolonne zog weiter. Als sie endlich in den eigentlichen Wolfswald eingedrungen waren, hatten sie schon mehr als zwanzig Mann zurückgelassen. Am Ende jedes Tagesmarsches errichteten sie ein Holzkreuz, das sie in einen Steinhaufen steckten. Eines Tages sollte entlang dieser Kreuze eine Straße gebaut werden. Sie weihten die Kreuze mit Weihrauch und Weihwasser, und vielleicht stehen sie immer noch, denn die Brüder benutzten Eichenholz und verankerten die Kreuze fest. An den ersten Tagen hatten sie keine größeren Probleme. Sie sahen die Signalfeuer und ignorierten sie. Jeden Abend errichteten sie ein befestigtes Lager, was in diesem Dickicht keine leichte Sache war. Aber dann geschahen merkwürdige Dinge. Das Vieh ließ sich kaum noch vorwärts treiben, und einige Tiere gingen verloren. Männer, die das Lager nachts verlassen hatten, verschwanden spurlos. Zwei Ritter kehrten von der Suche nach ihnen nicht mehr zurück. Danach wurden sie vorsichtiger. Sie mußten ihr Vieh schlachten, um sich zu ernähren, denn es gab kein Wild, und sie konnten nicht einzeln
Weitere Kostenlose Bücher