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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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damit?« Er kniff die Augen zusammen, wischte sich ungeduldig das Wasser aus dem Gesicht. Was wollte sie jetzt schon wieder? Gesichter. Gesichter in der Rinde. »Jesus!« Er tappte mit ihr vorwärts, ließ Nennian vornüber gebeugt im Schlamm stehen. Die Baumstämme waren knorrig und glänzten vor Nässe, aber in ihrer rauhen, knotigen Oberfläche konnte man Gesichtszüge erkennen, Gesichter voller Qualen und Todesangst. Als er näher hinsah, erkannte er die Umrisse von Händen, Armen und Beinen, Andeutungen von Kleidern -aber die Gesichter waren am deutlichsten. Aufgerissene, schreiende Münder, über die das Regenwasser strömte, Augenhöhlen, aus denen der Regen wie Tränen rann. Es war, als seien Männer von dem Holz umschlossen worden, versteinert wie Dinosaurier in Gesteinsschichten. Die obersten Äste wurden von dem immer stärker werdenden Wind hin und her gepeitscht, und die Regentropfen stachen Michael auf den Wangen. Er konnte nur noch mit Mühe die Augen geöffnet halten; es schien kaum noch Luft zum Atmen zu geben.»Das ist aus den letzten Überlebenden der Expedition geworden«, schrie Cat, und in ihrer Stimme lag eine merkwürdige Erregung. Der Sturm wurde stärker. Donnernd duckte er den Wald, ließ die Bäume wie Schilfhalme schwanken. Michael fühlte sich völlig benommen. Die Sturmböen fuhren ihm ins Gesicht, wirbelten unter dem Laubdach durch die Bäume und ließen den See, der sich auf dem Waldboden ausbreitete, aufschäumen. Er hatte den Eindruck, daß der Sturm vom Wald selbst ausging, daß die Bäume es waren, die ihn vorwärts peitschten. Der Wind wurde immer stärker, wuchs zu einem dröhnenden, wahnsinnigen Luftstrom. Zweige flogen Michael ins Gesicht, daß er die Hand vor die Augen halten mußte. Er taumelte ein Stück zurück, schwankte und berührte mit der Hand eines der hölzernen Gesichter. Voller Abscheu zog er die Hand zurück. Dann schob der Sturm ihn vor sich her, stieß ihn zurück. Er stürzte in das Wasser und den Schlamm, und der Wind fegte die aufspritzende Brühe über ihn. »Cat! Hilf mir!« Er wälzte sich im Morast und spürte dann Cats kräftigen Griff unter dem Arm. Ein dicker Ast fiel neben ihm ins Wasser, und die Spritzer trübten seinen Blick. »Er kommt, Cat. Er macht das!« Es war ihr Sturm, nur für sie tobte er. Es war, wie Nennian einmal gesagt hatte; die Dinge konnten sich im Wolfswald plötzlich wenden. Nicht mehr sie waren die Jäger, wenn sie es überhaupt jemals gewesen waren. Cat sah ihm aus ein paar Zentimetern Entfernung ins Gesicht, versuchte ihn zu verstehen. Doch ihre Augen hatten sich verändert. Sie waren zu engen Schlitzen geworden, die sich in den Winkeln nach oben in Richtung des Haaransatzes zogen. Grünes Feuer brannte in ihnen. Ihre Ohren waren so lang geworden wie Hörner. Sie grinste, und ihre Zähne schienen sich über das ganze Gesicht zu erstrecken. Michael schrie auf und gab ihr einen Stoß, so daß sie ins Wasser stürzte.

    »Was ist denn?« rief sie ihm zu. Konnte sie es nicht mehr selbst in sich spüren? Hatte der Wald schon so sehr von ihr Besitz ergriffen, daß sie von ihm geblendet wurde? »Nennian!« Michael schrie laut, aber der Wind riß ihm die Worte von den Lippen. Hier, jetzt. Der Schwarze Reiter war hier. Er war gekommen, um sie zu holen. Ein dumpfes Pochen, das ein Ast verursacht haben mochte, der gegen einen Baumstamm prallte. Doch es hörte nicht auf, ertönte regelmäßig. Wie ein Herzschlag. Es war ein Herzschlag. Es war das Geräusch des lebendigen Waldes, und es wurde lauter und lauter. Nennian versuchte, die Tiere unter Kontrolle zu bringen, aber sie wieherten panisch und scheuten vor ihm. Michael stampfte zu spät zu ihm hinüber. Die Braune stieß den Priester beiseite, und die drei Tiere galoppierten in den Wald. Cat rannte ihnen nach, aber nach zehn Metern blieb sie im Schlamm stecken und sank bis zur Hüfte ein. Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien. »Michael! Hilf mir!« Bruder Nennian bewegte sich mit letzter Kraft, zog mühsam die Füße aus dem Morast. Sein Gesicht war pechschwarz, und die Augen leuchteten weiß daraus hervor. »Michael!« schrie Cat. Er war wie erstarrt, blieb unbeweglich stehen, angewurzelt wie einer der Bäume. Der Herzschlag des Waldes dröhnte rhythmisch in seinem Kopf. Um ihn herum ächztendie Bäume und bogensichindem unnatürlichen Hurrikan. Die Luft war erfüllt von Wasser und fliegenden Ästen, Borkenstücken und toten Blättern, und das Licht wurde mit jedem Moment

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