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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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des Waldes auf sich hinzunehmen, sich von ihm verändern zu lassen, um für das bevorstehende Zusammentreffen besser gerüstet zu sein. Manchmal glaubte er, den Wald tatsächlich sprechen zu hören, mit einem hörbaren Flüstern, das das Knarren der Bäume übertönte. Er mußte sich selbst aufgeben, alles vergessen, was er in seinem früheren Leben gelernt hatte, um ein Teil des Anderen Ortes zu werden. Er mußte Irland vergessen, sein Zuhause, die Sonntagsmesse, seine Familie. Er war nur ein einsames Waisenkind, und er mußte den Wald in seinen Adern haben, um von ihm akzeptiert zu werden. Gib auf; gib nach, sagte der Wald. Man ertrinkt leichter, wenn man nicht dagegen ankämpft. Du kommst so schneller an dein Ziel und wirst am Ende der Reise ein glücklicher Mann sein. Die Botschaft war so anhaltend und störend wie ein Ohrgeräusch. Die Gegend wurde unebener, und auf den bewaldeten Hügeln fanden sie trockenere Plätze zum Rasten. Hier und da ragten moosbewachsene Steine aus dem Humus und dem Laub, als stießen die Knochen des Landes durch seine verwesende Haut. Nennian war überzeugt davon, daß diese Hügel die Ausläufer der schrecklichen Berge des Südens waren, und daß sie sich dem Ende des Waldes näherten. Es konnte nicht mehr weit sein, versicherte er ihnen, und in seiner Stimme lag wieder etwas von seiner alten Zuversicht. Cat ignorierte ihn, und selbst Michael achtete kaum noch auf seine Worte. Die Bäume veränderten sich auf seltsame Weise. Sie wurden kleiner, obwohl ihr Laubdach so dicht wie eh und je war. Sie sahen aus, als hätten sie eine lepraähnliche Krankheit. Anstatt senkrecht nach oben zu wachsen, krümmten sie sich wie arthritische Finger, und stellenweise war die Rinde wie Schorf abgeblättert, und man sah das schwarze Holz der Stämme. Wurzeln zogen und wanden sich über den dünner werdenden Erdboden, ringelten sich um Steine. Sie verwandelten sich in verzerrte, gepeinigte Wesen, die um ihr Leben kämpften, und in Michaels Phantasie wurden die mißgestalteten Stämme zu gesprenkelten Gesichtern und Körpern, zu verrenkten Gliedern. »Könnt ihr es fühlen?« fragte Cat flüsternd. Ihr Gesicht war voller Ehrfurcht. »Was fühlen?« fragte Nennian verärgert.

    »Die Macht hier. Die Luft knistert förmlich davon. Nicht einmal die Bäume können ihr widerstehen. Es ist wie ein heißer Windhauch. Michael, kannst du es spüren?« Er konnte. Es war wie ein leiser Trommelschlag hinter seinen Schläfen, ein fernes Wispern. Der Wald lebte und beobachtete sie. Er hatte das Gefühl, daß sie in das offene Maul eines gefräßigen Monsters wanderten, durch ein Land, das intelligent war und Empfindungen hatte. Das feindselig war. Es saugte die Kraft aus seinen Gliedern und nahm ihm allen Mut, den er besaß; es war, als wäre er wieder sieben Jahre alt und sähe schreckensbleich die dunklen Gestalten im Dämmerlicht den Fluß überqueren. »Heilige Mutter Gottes«, murmelte er. Bruder Nennian rezitierte mit leiser Stimme etwas Lateinisches. Sie errichteten ihr Lager am Fuße eines Felsenhügels. Das Feuer spiegelte sich auf dem nassen Stein. Um sie herum war Finsternis, der Wald, und in der Nacht konnten sie die Gegenwart der Bäume spüren, als seien sie eine schweigende Schar von verachtungsvollen und mißbilligenden Zuschauern. Sie lebten. Michael konnte keinen anderen Begriff finden, der die Sache besser traf. »Wir sind nah, sehr nah«, sagte Bruder Nennian.Erstarrteauf seinekalte Pfeife. Cat beruhigte die Pferde, sprach ihnen besänftigend ins Ohr und wischte den Angstschweiß von ihren Flanken. »Bist du nicht durch diese Gegend gekommen, als du dich damals dem Schloß genähert hast?« fragte Michael den Priester. »Nein. Es ist ... es ist eine Gegend, die ich nicht kenne, aber ich schwöre, daß ich damals genau diesen Weg genommen habe. Es ist, als könne der Wald sich bewegen und verschieben, das Land sich selbst verändern.« »Er will nicht, daß wir ihn finden«, sagte Michael. »Er verzögert unsere Reise, läßt die Bäume für sich arbeiten. Glaubst du, daß die Expedition damals so weit gekommen ist?« Nennian blickte in die Finsternis ringsum. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, wir haben die Stelle ihres letzten Kampfes schon passiert. Sie muß nördlich vonuns sein. Ich glaube,keinMenschist jemals so weit gekommen. Es ist ein unheiliger Ort.« Sie schwiegen eine Weile, und Cat setzte sich zu ihnen. Obwohl die Atmosphäre auch ihre Stimmung etwas gedämpft hatte, war

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