Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
des Behandlungstisches. »Können wir uns wohl ein bisschen unterhalten?«
Der Verletzte, den er um die dreißig schätzte, musterte ihn skeptisch, bevor er nickte. Seine Augen wirkten trübe, was Rino den Schmerzmitteln zuschrieb.
»Ich werde mich kurzfassen.« Er beugte sich vor, obwohl er bei diesem Geruch viel lieber auf Abstand gegangen wäre. »Können Sie mir eine Kurzfassung dessen geben, was hier passiert ist?«
Das Gesicht, das anscheinend grundsätzlich einen Ausdruck unausgesetzten Erstaunens trug, verzog sich zu einer verbissenen Grimasse. »Das hier.« Er wies mit einer kleinen, ruckartigen Bewegung auf den Paravent.
»Das müssen Sie wohl etwas genauer …«
»Ich weiß nicht«, kam es abgehackt.
»Sie wissen es nicht?«
»Behaupten Sie bitte nicht, dass es einen Grund gibt, dass ich das irgendwie verdient hätte.«
»Das behaupte ich nicht im Entferntesten.«
»Verdammter …« Ein paar trockene Schluchzer zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Rino konnte nicht heraushören, ob die Beschimpfung auf den Täter oder ihn gemünzt war.
Der Mann schnaufte schwer. »Ich bin zwei Mädchen hinterhergegangen, ich wollte wissen, ob sie ein Paar sind.«
Rino warf einen Blick auf den Tropf mit dem Schmerzmittel und versuchte festzustellen, ob die Dosis zu verantworten war. Infusionen mit zentralwirksamen Schmerzmitteln, die die Weiterleitung von Impulsen zum Gehirn blockierten und die Auffassung der Wirklichkeit vorübergehend verändern konnten, erinnerten ihn an die Situation von Joakim. Instinktiv ballte er die Fäuste.
»Plötzlich hat es geknallt. Mir ist das Fernglas aus der Hand geglitten, und es hat sich angefühlt, als würde ich meinen eigenen Schädel schlucken. Ich riech jetzt noch den Geruch des Lappens, den er mir aufs Gesicht gedrückt hat. Kampfertropfen und Pisse. Das ist das Letzte, woran ich mich erinnern kann.«
»Bis …?«
Der Verletzte zog eine Grimasse und wand sich. »Bis ich merkte, dass ich über den Boden geschleift wurde, wie ein Stück Schlachtvieh. Es roch nach Kreosot und Teer, und ich bekam mit, dass ich über den Kai gezogen wurde.«
Ein Täter, der Risiken eingeht, dachte Rino und fasste Hoffnung, dass jemand den Vorgang beobachtet haben könnte. »Diese beiden Mädchen, dieses Paar … wo genau befanden Sie sich da?«
»Bei einem kleinen See oben in Bodømarka.«
»Sind Sie oft da?«
Der Blick des Mannes zeigte deutlich, dass er sich wunderte, was diese Frage mit der Sache zu tun hatte. An seinem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck änderte das aber kaum etwas. »Ab und zu.«
Somit hatte der Täter gewusst, wo er ihm auflauern musste.
»Sie wurden also am Kai entlanggeschleift.«
»Zuerst dachte ich, dass er mich in ein Boot bringen will. Stattdessen schmiss er mich plötzlich eine Treppe hinunter.« Eine neuerliche Zuckung ließ die sowieso schon vorstehenden Augen noch etwas weiter aus den Höhlen treten. »Ich verlor wieder das Bewusstsein und bin davon aufgewacht, dass meine Arme brannten.«
Rino wurde wieder der Geruch von verbranntem Fleisch bewusst.
Der Verletzte holte schluchzend Luft. »Es dauerte einen Moment, bis ich kapiert habe, dass das, was ich da sah und fühlte, kein Traum war, dass ich tatsächlich auf einem Zementboden saß und mit den Armen an einen Scheiß-Heizstrahler gefesselt war.«
Der Kontrast zwischen eisiger Kälte und brennender Hitze sprang Rino sofort ins Auge, und die Assoziationen gefielen ihm überhaupt nicht. »Und Sie haben keine Ahnung, wer das getan haben könnte?«
»Glauben Sie mir, wenn ich gewusst hätte …«
»Nicht mal ein schwacher Verdacht?«
Ein erneuter Versuch, Rino einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. »Kann es Gründe geben, so etwas zu tun?«
»In meiner und Ihrer Welt – nein. In der Welt eines ausreichend verrückten Wichsers – definitiv ja, und da reden wir von wohldurchdachten Perversionen. Und das bedeutet, dass da wohl irgendwer glaubt, einen Grund gefunden zu haben.«
Die folgende Grimasse zeigte, dass die Schmerzen einen neuen Höhepunkt erreicht hatten. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Dass Sie Feinde haben. Zumindest einen. Wenn die Kriminaltechniker diesmal nicht mehr finden als sonst, sind wir darauf angewiesen, dass Sie uns einen Namen nennen.«
»Oh Gott.«
»Fangen Sie doch einfach mit der Stimme an.«
»Der hat keinen Ton gesagt.«
»Vielleicht geflüstert?« Rino deutete das Schweigen als Verneinung. »Er hat nicht zufällig eine Zeichnung in Ihrer unmittelbaren Nähe
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