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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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losgeschnitten.«
    »Er war an das Rohr gefesselt?«
    »Von den Handgelenken bis zum Ellbogen. Die andere Hand war nach hinten gebunden.«
    Rino konnte es sich bildlich vorstellen. Schon allein die Stellung musste schmerzhaft gewesen sein, und indem der Täter die Arme seines Opfers auf der anderen Seite des Rohres fesselte, konnte er den Radiator so nah heranstellen, wie er wollte. »Stand der Heizstrahler direkt vor dem Mann?«
    »Mit allerhöchstens fünf Zentimetern Abstand. Der wurde buchstäblich gegrillt.«
    Rino drehte sich um und sah die Zeichnung, die in einem halben Meter Höhe an der Wand hing. In Gesichtshöhe. Die Figuren waren anscheinend dieselben wie auf der anderen Zeichnung, die Signatur ebenso.
    »War die Rauchentwicklung sehr stark?«
    Der Schreiner schien erstaunt über die Frage. »Na ja, ein bisschen schon. Ich hab ganz instinktiv gehandelt, hab den Ofen ausgestellt und seine Arme losgemacht, bevor ich losgerannt bin, um einen Notarzt zu rufen. Hier unten hat man kaum Netz.«
    »Ich frage nur, weil die Wände so verrußt sind.«
    »Ach so, wegen den Wänden. Nein, das stammt von einem Brand, nehme ich an. Irgendwann in den sechziger Jahren. Damals mussten Teile der Anlage renoviert werden. Aber die Dachbalken haben keinen Schaden genommen, sehen Sie?«
    Er hatte recht.
    »Ich wage mir gar nicht auszumalen, wie es ausgegangen wäre, wenn das gestern passiert wäre.« Der Schreiner fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das ihm etwas struppig vom Kopf abstand. »Da hatte ich nämlich einen Termin beim Zahnarzt. Mein Kollege Ingar kommt immer gern eine Viertelstunde zu spät. Noch fünfzehn Minuten länger in dieser Hitze …«
    Allein bei dem Gedanken spürte Rino ein unangenehmes Prickeln auf der Haut. »Arbeiten Sie hier jeden Tag?«
    »Seit Oktober letzten Jahres.«
    »Laufen auf der Anlage viele Leute herum?«
    »Der eine oder andere Spaziergänger, aber manchmal kriegt man auch wochenlang keinen zu Gesicht.«
    »Und in letzter Zeit?«
    Der Mann fummelte wieder an seinem Werkzeuggürtel. »Ich glaube nicht. Ich kann ja noch mal Ingar fragen, aber ich bin ganz sicher, dass es fast eine Woche her ist, dass wir hier unten zum letzten Mal jemand gesehen haben. Ein altes Ehepaar, wenn ich mich richtig erinnere.«
    Rino zweifelte keine Sekunde daran, dass der Täter die Kaianlage in- und auswendig kannte. Seltsam war nur, dass er die Opfer immer an so sorgfältig ausgewählte Tatorte brachte. Das Risiko, entdeckt zu werden, hätte er auch mit Leichtigkeit halbieren können, und es deutete ja auch nichts darauf hin, dass es zu seinem Plan gehörte, seine Taten möglichst sichtbar auszuführen. Also musste es die Inszenierung selbst sein, die ihm wichtig war.
    »Dann sperre ich den Raum hier unten bis auf Weiteres ab. Sie können wieder an Ihre Renovierungsarbeiten gehen.«
    Auf einmal wurde der Geruch noch intensiver. Wieder sah Rino die Szene vor sich – die rotglühenden Heizdrähte, Haut, die zischte wie das Fett in der Bratpfanne, schmolz und auf den Betonboden tropfte. Wahrscheinlich waren sämtliche Nerven und Blutgefäße verkohlt und für immer zerstört. Vielleicht würde es sogar auf eine Amputation hinauslaufen, ein Schicksal, das auch dem ersten Opfer drohte.
    Amputation.
    Konnte dahinter etwas stecken? Sein Handyklingelton – Back in Black – riss ihn aus seinen Gedanken. Dann gab es hier unten also doch Netz. Auf dem Display stand Thomas . Sein Kollege und einziger naher Freund.
    »Wo bist du?«
    »In einem Keller am Amundsen-Kai.«
    »Dachte ich mir schon. Glaubst du, es ist derselbe Täter?«
    »Ja.«
    »Schlicht und einfach.«
    »Schlicht und einfach.«
    »Ich hab mit Selma gesprochen, das scheint ja eine echt hässliche Sache zu sein.«
    »Ekelhaft.«
    »In jeder Hinsicht.«
    »Ich habe übrigens ein paar Nachforschungen angestellt.« Sein Kollege biss von etwas ab, was nach einem Apfel klang. »Wegen diesem Olaussen. Ich habe den Eindruck, dass sein Job absolut seiner Persönlichkeit entspricht. Sieht so aus, als würde der Kerl ganz gut in dunkle verqualmte Lokale passen und seine Klamotten so lange anlassen, bis sie von selbst in die Waschmaschine marschieren. Der sagt der Welt Guten Morgen, wenn normale Menschen gerade ausstempeln.«
    »Das alles hast du herausgefunden?«
    »Nein. War nur so ein Eindruck.« Wieder hörte man ihn herzhaft abbeißen. »Oder was meinst du? Ich schätze, der wohnt in einer kümmerlichen möblierten Bude und zapft bis spät in die Nacht Bier für

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