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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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um, der unmerklich neben sie getreten war.
    Seine sehnige, für sein Alter noch sehr kräftige Hand fasste die Frau bei der Schulter und drehte sie auf den Rücken. »Du lieber Gott!« Er riss die Hand zurück.
    Die eine Hälfte des Kopfes war von einer klebrigen Masse bedeckt, die zu einer Rose aus Blut geronnen war.
    »Oh Gott!« Er suchte fieberhaft in seinen Taschen, bis er endlich zitternd sein Handy hervorholte. Das Mobiltelefon hatte er sich angeschafft, weil ihm irgendwann klar geworden war, dass sie gar nicht schnell genug Hilfe rufen konnten, wenn einer von ihnen einmal zusammenbrechen sollte. Er hatte auch ihr gezeigt, wie sie die Nummern fand, die er eingespeichert hatte, denn es war ja nicht abzusehen, wen von ihnen es zuerst treffen würde. Jetzt hatte er selbst große Probleme, die Nummern zu finden, und sie stellte fest, dass sie ihn in den fünfundvierzig Jahren ihrer Ehe noch nie so verängstigt gesehen hatte.
    Schließlich hatte er gewählt, und sie wandte sich wieder der Frau zu. Auf einmal war ihr, als käme ihr die Frau irgendwie bekannt vor. Sie nahm ihren Mut zusammen und legte ihr vorsichtig zwei Finger an den Hals, doch ihre Hand zitterte so stark, dass sie unmöglich feststellen konnte, ob da noch ein Puls zu fühlen war oder nicht. Doch die Haut der Frau war immer noch warm.
    »Ich glaube, sie lebt noch, Julian.«
    Doch ihr Mann stotterte aufgeregt in sein Handy und hörte sie gar nicht.
    Wieder legte sie die Finger an den Hals und meinte nun tatsächlich einen schwachen Puls zu spüren. Die Erleichterung, die sie hätte fühlen müssen, wurde von dem Gefühl überlagert, dass ihr Unterbewusstsein ihr etwas mitzuteilen versuchte. Abermals warf sie einen Blick auf das blutige Gesicht, versuchte sich auf die Gesichtszüge hinter der Maske aus Blut zu konzentrieren, doch trotz eines vagen Gefühls von Wiedererkennen konnte sie es nicht einordnen. Ihr Unbehagen wuchs, bis ihr auf einmal aufging, was ihr Unterbewusstsein entdeckt hatte. Sie fuhr zurück und versuchte ihr Gesicht hinter zitternden Händen zu verbergen, doch ihr Aufheulen konnte sie nicht zurückhalten.
    »Eine letzte Reise, befürchte ich.« Reinhard Sund zog eine schmerzliche Grimasse und veränderte seine Stellung. Er hatte abgebaut, das musste sie zugeben, und die Haut in seinem knochigen Gesicht sah alles andere als gesund und frisch aus. Er lag auf dem Sofa, das er sich mit zusätzlichen Kissen aufgepolstert hatte.
    »Mit mir geht’s steil bergab.« Er hustete vorsichtig. Anscheinend hielten seine Lungen die große Anstrengung nicht mehr aus. »Dabei hatte ich doch gedacht, ich hätte meine zweite Jugend noch vor mir.« Er legte die Hand tröstend auf ihre, aber sie konnte immer noch nicht so recht glauben, dass ihr Vater ernstlich krank sein könnte. Eine innere Stimme sagte ihr, dass Einsamkeit und Selbstmitleid in ihm die Oberhand gewonnen hatten und dass er sofort wieder aufblühen würde, sobald er sicher sein konnte, dass sie wirklich hierbleiben würde.
    »Die Ärzte haben dich von Kopf bis Fuß untersucht, Papa.«
    »Phh. Die Ärzte …« Er versuchte den Kopf zu schütteln, doch die Kissen waren im Weg. »Auf die Grünschnäbel geb ich doch keinen Pfifferling.«
    »Sie tun, was sie können.« Sie drückte seine Hand und stand auf. »Soll ich mal Kaffee aufsetzen?«
    »Natürlich, nehmt euch, was ihr braucht. Ich lieg hier und wimmere …« Er machte eine wegwerfende Geste, um sich über seine eigene Selbstbezogenheit lustig zu machen. »Sag überhaupt mal, Niklas, gefällt dir dein neuer Job?«
    Niklas, der auf einem Stuhl am Fußende saß, hatte sich noch nicht an den Szenenwechsel gewöhnt. Er kannte Reinhard Sund seit knapp fünfzehn Jahren und hatte ihn immer als unerschütterlichen Fels in der Brandung gesehen, nicht nur aufgrund seiner körperlichen Kraft, sondern auch wegen der Ruhe, die er ausstrahlte. Jetzt wirkte es, als würden ihn nicht nur seine Kräfte verlassen, sondern sein Seelenfrieden gleich mit.
    »Ich fühl mich wie die Made im Speck.«
    »Ich hatte schon Angst, dass es dir ein bisschen langweilig werden könnte, wo du doch so ein Stadtkind bist.«
    »Bis jetzt hab ich mich noch nicht gelangweilt.«
    »Das ist schön zu hören.« Reinhard wirkte aufrichtig erleichtert, und Niklas warf seiner Frau einen verstohlenen Blick zu. Doch sie gab ihm nur mit einem Schulterzucken zu verstehen, dass sie genauso wenig wusste wie er.
    »Wir möchten wirklich hierbleiben«, sagte er und hoffte, dass sein

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