Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
würde sicher noch einen Moment so bleiben, es sei denn, die leichte Brise wuchs sich noch zu einem Orkan aus. Brocks roch grundsätzlich nach Aftershave, obwohl Niklas es bei diesem Anlass ziemlich unpassend fand.
»Unwirklich.« Lind starrte stumpf auf einen braunroten Krater, den die Unmengen von Blut im Sand hinterlassen hatten.
»Sie wurde hier abgelegt.« Im festen Sand waren keine Spuren eines Kampfes zu erkennen.
Lind überlegte, ohne zu signalisieren, ob er diese Meinung teilte oder nicht.
Niklas fuhr in seiner Argumentation fort. »Es sei denn, sie kannte den Täter und ist ihm freiwillig zum Strand gefolgt.«
»Und hat freiwillig das Kleid angezogen?«
»Eben, deswegen glaube ich ja auch, dass der Täter sie hier abgelegt hat.«
Die Sirene des Notarztwagens gellte durch die Luft. Der Fahrer gab Gas – noch bestand Hoffnung, ein Leben zu retten.
»Hier sind massenweise Leute drübergetrampelt.«
»Ich glaube nicht, dass das so viel ausmacht. Die Abdrücke sind kaum zu sehen, und wie du sieht, kann man keine Muster von den Sohlen erkennen.«
»Sie hat ganz schön viel Blut verloren.« Lind starrte immer noch auf den blutigen Krater im Sand.
Niklas ging in die Hocke und strich mit dem Finger vorsichtig über einen dunkleren Fleck.
»Was ist das?«
»Das versuche ich gerade rauszufinden.« Niklas spürte, dass der Sand zwischen den Fingern klumpte. Er holte eine Tüte aus seiner Uniformtasche, steckte die Hand tief in den Sand, griff eine Faustvoll heraus und stopfte sie in die Tüte.
Lind hob den Blick. »Der Ort ist wohl kaum zufällig gewählt worden. Hier wohnt niemand, der den Strand einsehen könnte.«
»Ich befürchte, dass hier wenig bis gar nichts auf Zufall beruht. Wenn es so ist, wie es aussieht, dass die Frau nämlich wie eine der Puppen gekleidet ist, dann haben wir es mit einer Person zu tun, die lange und gut im Voraus plant.«
Lind schien ihm schweigend zuzustimmen.
»Brocks meinte, sie zu erkennen. Ellen Sowieso.«
»Wenn sie das ist, dann weiß ich auch, wer sie ist.«
»Wenn?«
Lind zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nicht sagen, dass sie es ist, aber nach Bergithons Andeutung … vielleicht. Das könnte sie sein.«
»Aber du glaubst es nicht so recht?«
Neuerliches Schulterzucken. »Ellen Steen ist blond. War sie zumindest, als ich das letzte Mal in der Bank war.«
9
Bodø
»Die Kinder!«
»Hä?«
»Er rächt die Kinder, in diesem Fall Ihren achtjährigen Sohn.«
Kim Olausson sah aus, als wäre er auf dem falschen Planeten zwischengelandet.
»Tommy?«
»Fragen Sie mich nach dem Namen Ihres eigenen Sohnes?«
»Warum sind Sie so aggressiv, Mann?«
Rino stand breitbeinig vor ihm. »Weil sich jemand in Tommys Namen an Ihnen rächt, und ich will wissen, warum.«
»Das ist doch total krank.« Olaussen zog sich in seinem Sessel hoch. Auf seinem Schoß lagen Wettscheine und Zeitschriften mit Wettstatistiken.
»Selbst im scheinbar unmotiviert Kranken gibt es oft eine rationale Logik.«
Olaussen schluckte schwer. Entweder konnte er die ganzen Fremdwörter nicht verdauen, oder aber seine Alarmlämpchen gingen an.
»Wir haben die Zeichnung deuten können. Das Kind im Fenster ist Ihr Sohn.«
»Wer hat die Zeichnung gedeutet? Sie?« Der Ton war unverhohlen spöttisch.
Rino hatte große Lust, den randvollen Aschenbecher über den Kopf dieses menschlichen Wracks auszuleeren. »Erzählen Sie mir von Tommy.«
»Halten Sie Tommy da raus.«
»Wenn wir das tun, bleibt der Täter auf freiem Fuß. Ich schätze, dass er es wieder versuchen und dass er nicht aufgeben wird, bis Sie nur noch zwei amputierte Armstumpen haben und sich den Arsch nicht mehr selbst abwischen können.«
Es sah ganz so aus, als würde sich Olaussen dieses Szenario bildlich vorstellen. »Was wollen Sie wissen?«
»Alles.«
»Er ist ein … munterer Junge.«
Rino blieb abwartend stehen, und Olaussen zuckte mit den Schultern.
»Ist das alles?«
»Was soll ich denn sagen?«
»Er ist acht, stimmt’s?«
Olaussen fühlte sich sichtlich unwohl.
»Das heißt, er geht jetzt in die … zweite Klasse, oder?«
»Wahrscheinlich.«
»Wahrscheinlich?«
»Verdammt noch mal, wird das hier ein Verhör, oder was?«
»Nein, es überrascht mich nur, dass Sie sich da nicht sicher sind.«
»Wieso soll denn das wichtig sein, ob der Junge in der ersten oder zweiten Klasse ist?«
»Vielleicht ist es wichtiger, als Sie denken. Auf welche Schule geht er denn?«
»Er wohnt in Hunstad.«
»Das war nicht meine
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