Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
ich Zeit, um einen Spender zu finden. Nach Weihnachten werde ich wohl zur Dialyse müssen, und bis zum Sommer …«
Plötzlich schämte er sich. Schämte sich, weil er sich so sträubte, eine Niere für seine Liebe zu opfern, und weil sie es spürte. Er setzte sich. »Wir können die Proben jederzeit machen lassen.«
»Ich hab morgen einen Termin.«
Das hatte er ganz vergessen. »Dann komme ich mit.«
»Und die Ermittlung?«
»Die kommt auch mal ohne mich aus.«
»Sicher?«
»Sicher.«
Sie lächelte vorsichtig. »Ich wollte eigentlich weiterstreichen, aber … ich bin nicht ganz in Form.«
Er stand auf, zog sie vom Stuhl hoch und drückte sie an sich. Und als sie so dastanden, spürte er, dass er bereit war. Bereit, einen Teil seiner selbst für sie zu opfern.
Karianne ging zuerst ins Bad, und er beschloss, sich noch einmal den Keller anzuschauen. Er hatte ihr noch nichts von dem Jungen erzählt, der hier aufgewachsen war, und von dem Verdacht, der gegen ihn bestand. Sie hatte genug Sorgen. Er ging auf Strumpfsocken hinunter, weil er nicht wollte, dass sie fragte, was er plötzlich im Keller zu suchen hatte. Er öffnete die Tür des Raumes, zu dem sie sich heute Zugang verschafft hatten, und meinte, ein Wimmern aus den Wänden kriechen zu hören. Hier hatte der Junge also gesessen, isoliert und einsam, und sich die Zeit damit vertrieben, kleine Strichmännchen in die Wand zu ritzen. Die Art, wie diese Tür vernagelt worden war, deutete darauf hin, dass es entweder im Zorn geschehen war oder mit der Absicht, sie für immer zu verschließen. Hatte vielleicht der Junge selbst die Bretter angenagelt? Er war schon fast wieder oben, als sein Handy klingelte. Es war Lind.
»Das Krankenhaus Tromsø hat angerufen.« Seine Stimme verriet, dass er gestresst war. »Manches deutet wohl darauf hin, dass Ellen Steen langsam doch aus ihrem Dämmerschlaf aufwacht. Sie murmelt unverständliche Sachen, aber eine Krankenschwester meint, ein paar Worte verstehen zu können. Sie ist sich ganz sicher, dass sie da etwas von kratzenden Klauen herausgehört hat.«
28
Andreas Geschichte
Er schlug sie, wie er sie noch nie zuvor geschlagen hatte, voller Hass und mit dem bewussten Wunsch, sie zu verletzen. Vielleicht eine halbe Minute, vielleicht auch fünf, sie wusste es nicht, aber plötzlich war der Wahnsinn vorüber, und das Einzige, was ihren eigenen hämmernden Herzschlag übertönte, war sein schwerer, pfeifender Atem. »Luder«, sagte er, als er ging, doch sie hörte seiner Stimme an, dass sein Zorn sich gelegt hatte.
Die Schmerzen waren unerträglich, und sie schaffte es mit Mühe und Not, sich in die Badewanne zu hieven. Das Wasser färbte sich rot von dem Blut aus einer Platzwunde an der Stirn, und als sie sich selbst so im blutig-hellroten Wasser sitzen sah, fing sie an unkontrolliert zu zittern, und ihr bitterliches Weinen hallte dumpf von den Fliesen wider.
»Mama?« Das war Konrad. Er hatte mitbekommen, was passiert war, und die nachfolgende Stille machte ihm Angst.
Sie wusste, dass sie sich um des Kindes willen zusammenreißen musste, aber ihr Körper zuckte weiter.
»Mama, bist du da drin?«
»Mama badet.« Ihre Worte kamen in abgerissenen Schluchzern.
»Tut es weh?«
Seine Fürsorge und sein Versuch, sie zu trösten, ließ sie noch viel heftiger weinen. Sie weinte, weil sie Kinder in eine Welt voller Angst und Not geboren hatte. Und sie weinte, weil sie sie mit einem Vater wie Edmund leben ließ.
Konrad ging, er begriff, dass sie Zeit für sich selbst brauchte, und nach und nach konnte sie sich wieder fangen und rational überlegen.
Sie ließ das Wasser ablaufen. Ihr war bewusst, dass Edmund jederzeit wieder die Beherrschung verlieren konnte, wenn er entdeckte, dass der Boiler leer war. Sie streckte sich nach einem Handtuch aus, doch die Schmerzen in den Rippen waren so heftig, dass sie nach Luft schnappen und sich wieder hinsetzen musste. Nach mehreren Aufstehversuchen wurden die Schmerzen immer stärker, und sie blieb sitzen. Nur der Gedanke, dass ihre Kinder mittlerweile fast eine Stunde ganz ohne Aufsicht waren, gab ihr die Kraft, einen letzten verzweifelten Anlauf zu nehmen, und mit einem Schmerzensschrei schaffte sie es, sich aus der Wanne zu stemmen. Gekrümmt blieb sie stehen, während der Schmerz heftig pochte. Mehrere Rippen mussten gebrochen sein, und ihr war klar, dass sie tagelang nicht imstande sein würde, sich um die Kinder zu kümmern. Die Verzweiflung überwältigte sie, und sie stürzte
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