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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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versuchte, zornig zu werden. So hatte sie ihn noch nie gesehen, es sah aus, als hätten sich alle guten Kräfte in diesem kleinen Körper vereint, um sich dagegen zu stemmen, dass er gegen seine Natur handelte. Und Andrea, die schon allzu viele tote Tieraugen gesehen hatte, ließ sich erweichen. Fast zwei Wochen lang ging es gut, bis sie eines Morgens mit dem Gefühl erwachte, dass ein dumpfer Knall sie aus ihrem Traum gerissen hatte. Es war still im Haus. Zu still. Sie drehte sich im Bett um, sah, dass Edmund nicht neben ihr lag, und begriff im selben Moment, was geschehen war. Sie rief seinen Namen, brüllte wie eine Verrückte, als sie die Bettdecke zur Seite schlug und die Treppe hinunterlief. Das Fuchsjunge lag in einer Blutlache auf dem Boden. Daneben stand Edmund mit einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht. »Was hast du gemacht?« Sie heulte es heraus, doch seine selbstzufriedene Stimmung war nicht zu erschüttern. Sie lief auf das blutige Bündel zu, aber als sie nur noch ein paar Meter entfernt war, blieb sie plötzlich stehen. Der kleine Fuchs war unwiderruflich tot, aber zurückgehalten hatte sie etwas anderes. Sie spürte einen ungläubigen Blick im Rücken und drehte sich um. Konrad stand wie gelähmt auf der Türschwelle. Es kam kein Schrei, kein hysterischer Ausbruch, er stand einfach nur so da, mit einem versteinerten Ausdruck auf seinem blutleeren Gesicht. Es war, als würde die Zeit stillstehen. Niemand sagte etwas, niemand tat etwas. Sie setzte sich vor ihn hin und achtete darauf, ihm mit ihrem Körper den Blick auf das Fuchsjunge zu versperren. Sie bat Heidi und Linea, wieder ins Haus zu gehen. Die beiden starrten den toten Fuchs an, ohne zu verstehen, was an ihm so besonders sein sollte, denn Konrad hatte auch ihnen kein Sterbenswörtchen davon erzählt. Andrea führte ihn nach drinnen, setzte sich mit ihm aufs Sofa und drückte ihn fest an sich. Doch sosehr sie sich auch bemühte, ihn zu trösten, es kam keine Reaktion. Konrad war geflohen, und sie war mit ihm geflohen, in eine leere Dunkelheit, in der nichts mehr einen Sinn hatte. Sie merkte, wie Heidi die Veränderung spürte, sie bemerkte die Verunsicherung ihrer Tochter, als sie ihre Mutter so sah, doch Andrea hatte keine Kraft mehr zum Trösten. Sie wünschte sich nur noch Frieden, wollte nur noch einschlafen und nie wieder aufwachen. Und sie schlief, einen Tag und eine Nacht, und erwachte erst wieder am nächsten Vormittag. Von unten hörte man gedämpfte Stimmen. Edmund und Heidi. Sie blieb liegen und nahm diese Geräusche häuslichen Friedens in sich auf. Vielleicht war er nicht echt, aber in diesem Moment fühlte es sich befreiend an, und als sie sich wenig später hochrappelte, hatte sie das Gefühl, dass die Tragödie des vorigen Tages ihren Schrecken schon wieder verlor. Allerdings wusste Andrea nicht, dass Edmund in wenigen Wochen einen schicksalhaften Beschluss fassen sollte.

29

    Niklas saß allein am Küchentisch. Er hatte den Tag im Krankenhaus von Tromsø verbracht, wo man ihm und Karianne Gewebeproben entnommen hatte. Sie hatten schon die Rückmeldung, dass sie dieselbe Blutgruppe besaßen, jetzt mussten sie noch ein paar Tage gespannt abwarten, bevor sie erfuhren, ob Niklas’ Gewebetyp passend war. Bei dem Gedanken, eine Niere zu opfern, war ihm die ganze Zeit unwohl gewesen, aber bis jetzt hatte er sich innerlich davon distanzieren können, als wäre das Szenario zu erschreckend, als dass es jemals Realität werden könnte. Doch nach dem Krankenhausbesuch war es auf einen Schlag eine Wirklichkeit, der er sich nicht länger verschließen konnte. Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken. Und ihm wurde schlecht davon, dass er so reagierte. Karianne, die ihre Krankheit mit solcher Würde trug und ihn so lange wie irgend möglich überhaupt nicht in ihr Leiden mit hineingezogen hatte, verdiente es einfach nicht, dass er sich weigerte, sie verdiente es, ohne schlechtes Gewissen einer besseren Zukunft entgegenzugehen. Sie war den ganzen Tag über bester Laune gewesen, wahrscheinlich weil das Gefühl so befreiend war, dass sich endlich etwas tat. Sie kamen gerade nach Hause, als die nächste frohe Botschaft eintraf. Ihr Vater rief an und teilte ihr mit, er habe ein kleines Lazaruserlebnis gehabt, weil er es nämlich geschafft hatte, aufzustehen und ein wenig im Wohnzimmer umherzugehen. Niklas teilte die Freude, aber sie hatte einen gewissen unguten Beigeschmack. Er mochte Reinhard, er hatte ihn immer gemocht, aber irgendetwas sagte

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