Der Makedonier
Dunkelheit vieler schlafloser Nächte hatte Perdikkas sich das alles zurechtgelegt. Seine Mutter würde ihm verzeihen. Ihm erschien das sowohl unausweichlich wie richtig, und doch hegte er tief in seinem Herzen einen Zweifel. Vielleicht, dachte er, ist es dieser Zweifel, der mich noch zurückhält.
Aber er fürchtete nicht nur seine Mutter. Ptolemaios war ein erfahrener Krieger, einer, der viele Schlachten überlebt hatte, und Perdikkas wußte nur zu gut, wie ungeschickt er mit Waffen war. Es würde nicht einfach sein, diesen Mann öffentlich zu töten, aber genau davon hing seine Ehre als König ab. Niemand würde ihm einen Vorwurf machen, wenn er einfach sein Schwert zog und es dem Regenten in den Leib stieß. Ein König darf jeden töten, den er für eine Bedrohung hält, vorausgesetzt, er tut es, wie es das Gesetz vorschreibt, als etwas, das er vor der Welt zuzugeben bereit ist. Heimlichkeit durfte es dabei keine geben.
Aber Ptolemaios auf diese Art das Leben nehmen zuwollen – in aller Öffentlichkeit, vor Zeugen – bedeutete : ein ungeheures Risiko. Perdikkas war zwar kein Feigling, * aber er war auch kein Narr.
Es war alles eine Frage der Gelegenheit, und eine Gelegenheit hatte sich bis jetzt noch nicht ergeben.
Konnte Ptolemaios ahnen, was ihm durch den Kopf ging? Abend für Abend saßen die beiden Männer nebeneinander an der Tafel und wechselten manchmal ein Wort oder einen Blick, doch so beiläufig, als könnten sie einander in die Herzen sehen. Perdikkas konnte dies inzwischen nur noch ertragen, wenn er zuvor in seinem Zimmer zwei oder drei Schalen unvermischten Weins getrunken hatte. Es war, als würde man sich mit einem Skorpion zu Tisch setzen.
Denn Perdikkas wußte, wenn Ptolemaios auch nur die geringste Ahnung beschleichen würde, dann würde er keinen Tag länger leben; er wußte, daß er nur sicher war, solange Ptolemaios ihn verachtete und von seiner Harmlosigkeit überzeugt war.
Es gab Tage, an denen Perdikkas sich zwang, jeden Gedanken an Gewalt aus seinem Bewußtsein zu verbannen – er würde genau so sein, wie der Regent es sich vorstellte, ein formbarer, vertrauensseliger Narr, der für niemand eine Gefahr darstellte, und dann vielleicht…
Aber es half nichts. Die Gefahr blieb dieselbe, ob er sie nun sehen wollte oder nicht. Wenn Ptolemaios auch nur den geringsten Verdacht hatte, dann war das sein Todesurteil.
Einmal, nur ein einziges Mal, ließ er vor seiner Mutter etwas von seiner Angst durchblicken.
»Vom Prinzen Ptolemaios hast du nichts zu befürchten«, sagte sie ihm. »Du bist sein Schutz.«
»Wovor? Wovor braucht denn der Regent Schutz?«
»Vor deinem Bruder, du blinder Narr. Er weiß, wenn dir irgend etwas passiert, wird Philipp zurückkehren.«
»Ja, das kann ich verstehen.« Perdikkas nickte, obwohler befürchtete, gar nichts verstanden zu haben. »Wenn ich sterbe, werden die Thebaner…«
Aber Eurydikes wildes Auflachen schnitt ihm das Wort ab.
»Du bist ein Trottel«, rief sie mit unerwarteter Heftigkeit. »Glaubst du wirklich, daß Prinz Ptolemaios nur davor Angst hat, daß Philipp an der Spitze einer fremden Armee zurückkehrt? Laß deinen Bruder allein nach Hause kommen, nur mit einem Küchenmesser in seiner Schlafmatte, und es wäre genau dasselbe. Es ist ganz allein Philipp, der ihm das Blut zu Eis erstarren läßt. Er hat entsetzliche Angst davor, ihn je wieder zu sehen.«
Nur dank des kleinen Bruders zu leben, war fast so schlimm, wie beständig um das Leben fürchten zu müssen. Manchmal war es noch schlimmer.
Er mußte Ptolemaios töten. Dann wäre er von beiden befreit.
Flackerndes Licht, das unter der Tür hindurch in sein Zimmer drang, ließ Perdikkas erkennen, daß auch nebenan jemand wach war. Doch das war nicht so ungewöhnlich, daß es ihn beunruhigt hätte. Vielleicht wurde mit zunehmendem Alter die Blase des Regenten schwächer. Es hätte Perdikkas zwar gefreut, wenn auch den Regenten schlimme Träume plagen würden, aber er bezweifelte es. Gleichgültig, was seine Mutter sagte, er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Ptolemaios vor irgend etwas Angst hatte.
Das Licht ging aus. Perdikkas legte sich wieder hin, und die kalte Ruhe der Verzweiflung überkam ihn. Erst kurz vor Tagesanbruch schlief er wieder ein.
Nicht der Regent hatte mitten in der Nacht die Lampe angezündet, sondern seine Frau. Ptolemaios schlief weiter, das Gesicht zur Wand. Er bemerkte es nie, wenn Eurydike geräuschlos aus dem Bett schlüpfte.
Sie schien kaum mehr
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