Der Makedonier
wurde. Philipp dagegen gelang es, einen gewissen Ernst zu bewahren. Ja, seine Miene wurde sogar noch ernster, denn er erkannte jetzt, daß er es nicht nur mit einem Trottel zu tun hatte, sondern daß auch keiner sich die Mühe gemacht hatte, diesen Trottel von seiner Anwesenheit zu benachrichtigen.
»Es obliegt mir nicht, darüber zu urteilen, ob du eine Runkelrübe bist oder nicht. Aber ich würde vorschlagen, daß du dich bald zu Bett begibst, mein König, denn ich werde dir morgen früh meine Aufwartung machen.«
Derdas starrte ihn mit offenem Mund an wie ein Mann, der nicht genau weiß, ob er gerade einen Witz gehört hat oder nicht, der aber auf jeden Fall lachen will. Am liebsten hätte Philipp diesem betrunkenen Narren die Faust zwischen die Zähne gerammt, doch er begnügte sich damit, einfach aufzustehen und erhobenen Hauptes aus dem Saal zu marschieren.
Draußen in dem Bogengang, der den königlichen Garten umschloß, ließ er sich das Gesicht von der köstlich kühlen Nachtluft umspielen.
»Was will der König in Pella von meinem Bruder?«
Philipp drehte sich um und sah eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, vor sich stehen. Sie trug eine weiße Tunika, die ihr bis zu den Füßen reichte, und wirkte sehr still und gefaßt. Sie war aber auch sehr schön, mit lockigen schwarzen Haaren und einer makellos weißen Haut. Von den Augen abgesehen, aus denen Geist und Witz sprühte, war die Ähnlichkeit mit Derdas verblüffend, so daß Philipp gar nicht zu fragen brauchte, von wem sie denn spreche.
»Eigentlich hatte ich erwartet, diese Unterhaltung mit dem König in Aiane zu führen«, sagte er und lächelte gegen seinen Willen. »Wie kommt es, daß du von meiner Mission weißt, er aber nicht?«
»Mein Bruder hat keine Frau, und deshalb führe ich ihm seit dem Tod unserer Mutter den Haushalt. Die Kämmerer sagen mir alles.«
»Aber ihm haben sie es nicht gesagt?«
»Er hat nicht zugehört.«
Sie sagte das ohne besondere Betonung, als handelte es sich um eine Selbstverständlichkeit. Sie wollte, daß Philipp verstand, aber sie wollte auch ihren Bruder nicht in ein schlechtes Licht rücken. Dieser Zwiespalt offenbarte den Kampf zwischen Klugheit und Treue, der vermutlich einen Großteil ihres Lebens in Anspruch nahm.
»Warum hat er nicht zugehört?« fragte Philipp, weniger weil er die Antwort, sondern weil er ihre Stimme hören wollte.
»Du bist spät angekommen, und mein Bruder läßt sich nicht gern stören, wenn er mit seinen Freunden zusammen ist.«
»Also haben die Kämmerer es dir gesagt, in der Hoffnung, daß du es ihm sagst.«
»Ja. Und das hätte ich auch, morgen früh. Frauen sind beim Festmahl des Königs nicht zugelassen. Morgen früh wird er anders sein.«
»Und du stehst dann wohl neben seinem Stuhl und flüsterst ihm ins Ohr, was er sagen soll?«
Philipp grinste schelmisch, und die Schwester des Königs senkte den Blick, was schade war, denn es machte ihm große Freude, ihr in die Augen zu sehen.
»Mein Bruder wird dich allein empfangen«, erwiderte sie und ließ es klingen wie die Antwort auf einen Tadel.
Aber sie würde zuvor mit ihrem Bruder sprechen, dachte Philipp. Und da sie wußte, wie er dachte, konnte sie ihm vielleicht etwas sagen, das ihn vernünftigen Argumenten zugänglicher machte. Deshalb war es von Nutzen, wenn sie mehr wußte.
Außerdem genoß er die Unterhaltung.
»Dann werde ich mit ihm so sprechen, wie ich es vorseiner Schwester nicht tun würde.« Sein Lächeln verschwand. »Ich werde ihm sagen, daß er König Perdikkas’ Zorn herausfordert, denn er hat Dörfer überfallen, die außerhalb seiner Grenzen liegen, er hat gebrandschatzt und geplündert und viele Tote hinterlassen.«
»Der König von Elimeia ist kein Verbrecher!« sagte sie mit einer Leidenschaftlichkeit, die man ihr eigentlich gar nicht zugetraut hätte.
»Prinzessin, ich habe die verkohlten Hütten und die Gräber der Toten gesehen – mit meinen eigenen Augen habe ich sie gesehen, keine zwei Tagesritte von diesem stillen Garten entfernt. Wenn dein Bruder kein Verbrecher ist, dann tun seine Soldaten Böses hinter seinem Rücken, weil sie wissen, daß er und nicht sie für das unschuldige Blut, das sie vergossen haben, zur Rechenschaft gezogen wird. Ist er so achtlos, Prinzessin? Ist er hier König oder nur Herr der Gelage? Was würde dich weniger schmerzen, zu glauben, daß er ein Verbrecher ist oder ein Narr?«
Wieder senkte sie den Blick, denn darauf hatte sie keine Antwort. Sie hatte
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