Der Makedonier
Kriege wurden nicht von Schäfern ausgefochten. Wenn allerdings in der Nähe eine Schlacht geschlagen wurde, konnte es sein, daß die Männer dieses Dorfes einen Spaziergang unternahmen und sich in sicherer Entfernung auf Felsen setzten, um zuzusehen. Vielleicht brachten sie sogar ihr Mittagessen mit und verspeisten es, während unter ihnen die Schlacht tobte. Und wenn dann alles vorüber war, fledderten sie vielleicht die Leichen der Gefallenen. Ansonsten war ein Krieg nichts, was sie sonderlich betraf.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Philipp.
Der Dorfvorsteher schien sich das durch den Kopf gehen zu lassen und nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierkrug.
»Na, falls es Krieg geben sollte«, sagte er nach einerWeile und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Bart, »dann hoffe ich, daß ihr aus dem Tieflandkämpft wie ganze Männer. Wir brauchen einen neuen König.«
»Mögt ihr den jetzigen nicht?«
Der Vorsteher zögerte einen Augenblick mit der Antwort, als wüßte er, daß er sich auf gefährlichem Grund bewegte. »Der Vater war nicht schlecht, aber der Sohn…« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal überfallen die Edelleute auch unsere Dörfer. Ein König sollte wissen, wie man Stärke zeigt, sonst macht jeder, der ein Pferd und ein Schwert besitzt, was er will.«
Während der folgenden zwei Tage seines Rückritts nach Pella wurde Philipp sich bewußt, daß sich in seinem Kopf fast ohne sein Zutun eine Idee formte. Vielleicht war es weniger eine Idee als eine Überzeugung, aber er wußte, daß er an einem Wendepunkt seines Lebens angekommen war.
Er erzählte es Perdikkas, kaum daß er eine Stunde innerhalb der Stadtmauern war. Ohne lange Vorrede platzte er sofort mit dem Wesentlichen heraus: »Du mußt eine Armee nach Elimeia schicken und Derdas stürzen.«
»Dann nehme ich an, daß deine diplomatische Mission kein Erfolg war«, erwiderte Perdikkas. Er hatte es sich angewöhnt, vor dem Abendessen ein kurzes Nickerchen zu halten, und Philipp hatte ihn geweckt. Aber er war ihm deshalb nicht böse, denn er hatte von seiner Mutter geträumt.
»Nein, sie war kein Erfolg. Der Mann ist ein Narr, der glaubt, daß das Leben ein Jagdausflug mit anschließendem Gelage ist. Seine Edelleute sind ein führerloser Haufen, und die einfachen Leute wünschen ihn zum Teufel. Wir können ihn stürzen – es ist möglich.«
»Derdas kann eine Armee von viertausend Mann ins Feld schicken. Wir brauchten mindestens sechstausend, u m uns des Sieges sicher sein zu können, und so viele kann ich unmöglich aus den nördlichen Garnisonen abziehen, ohne daß die Thraker und die Illyrer über uns herfallen wie die Wölfe.«
»Dann hebe eine neue Armee aus.«
»Dazu fehlt das Geld. Ich kann es mir nicht leisten, eine neue Armee auszuheben.«
»Du kannst es dir nicht leisten, es nicht zu tun. Wenn du jetzt nicht Stärke zeigst und an Derdas ein Exempel statuierst, werden bald alle unsere Grenzen unter Druck geraten. Und wenn das passiert, zerbröselt Makedonien wie ein Stück altes Brot.«
Perdikkas antwortete nicht sofort. Lange Zeit saß er nur auf der Bettkante und starrte seinen Bruder beinahe haßerfüllt an. Er wußte, daß Philipp recht hatte.
»Ich kann mir eine Armee von sechstausend Mann nicht leisten«, sagte er, als wäre damit die Sache erledigt.
»Du brauchst keine sechstausend Mann, um mit diesen hohlköpfigen Banditen fertig zu werden. Wenn du so viele nicht aufbringen kannst, dann gib mir tausend.«
Philipp sagte dies, als sein älterer Bruder eben einen Schluck Wein trinken wollte, doch als er das hörte, starrte er nur in seine Schale, als würde sie frisches Blut enthalten. Mit offensichtlichem Abscheu stellte er das Gefäß auf den Nachttisch.
»Bist du verrückt?« fragte er leise. »Hat dich da oben in den Bergen eine Schlange gebissen, oder bist du auf den Kopf gefallen? Wenn du mit nur tausend Mann in Elimeia einfällst, führst du sie direkt ins Verderben.«
Philipp legte die Hände aneinander und drückte sie an den Mund, und als er seinen Bruder so ansah, lag fast ein Flehen in seinem Blick.
»Ich habe die letzten drei Jahre fast ausschließlich in Theben verbracht«, sagte er, wie zu sich selbst. »Die Thebaner verstehen mehr vom Krieg als irgendein anderes Volk auf der Welt, und ich habe bei ihnen viel gelernt.
Glaub mir, mein Bruder, wenn ich dir sage, daß eine kleine, aber gut ausgebildete Armee einen Pöbelhaufen von jeder Größe besiegen kann. Gib mir tausend Männer, und
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