Der Makedonier
bis zum letzten Tropfen, denn Perdikkas ist nicht eben großzügig gewesen.«
Glaukon saß neben dem Herd, in dem nach dem Tod seiner Frau kaum noch ein Feuer brannte, und hörte mit gesenktem Kopf zu. Als er aufsah, standen Tränen in seinen Augen.
»Ja, natürlich«, antwortete er. »Wohin würde ich dir nicht folgen, mein Prinz? Aber ich bin der Haushofmeister des Königs und sein Diener. Ich brauche seine Erlaubnis.«
Philipp nickte, und in diesem Augenblick sah er aus wie ein Mann, dem auch ein König nur zum eigenen Schaden etwas abschlägt.
Perdikkas schlug es ihm nicht ab. Tatsächlich bekam Perdikkas allmählich ein wenig Angst vor seinem Bruder, denn Philipp war wie ein Besessener. Ihm bei der Ausbildung seiner Armee zuzusehen, hieß Zeuge zu sein der Erleuchtung, die einen Mann überkommt, der gefunden hat, wozu er geboren wurde.
Und wer nicht in die Ebene hinausritt, um ihm bei der Arbeit mit seinen Männern zuzusehen, der sah ihn überhaupt nicht, denn Philipp verließ sie kaum einmal. Er stand mit ihnen vor Sonnenaufgang auf. Er aß an ihren Lagerfeuern, und wenn sie zu ihrem Morgenmarsch aufbrachen, war er bei ihnen, nicht auf seinem Pferd, sondern in ihren Reihen, und wie sie lief er seine Sandalen durch. Nachmittags unterrichtete er sie im Gebrauch der Waffen, und in den Übungsstunden schwang er ein hölzernes Schwert, bis er seinen Arm kaum noch bewegen konnte. Und als er ihnen genug beigebracht hatte, um sichder Aufstellung der thebanischen Phalangen zuwenden zu können, da stellte Philipp sich in die erste Reihe. So sahen seine Soldaten, daß er einer von ihnen sein und wie sie sein Leben in der Schlacht aufs Spiel setzen wollte, und das gab ihnen Mut.
Philipps Reiterei bestand aus hundert Soldaten, von denen die meisten aus vornehmen Familien kamen, die aber, wie Philipp, jüngere Söhne ohne größere Aussichten auf Erbschaften waren und deshalb den Krieg als Möglichkeit zum Weiterkommen betrachteten. Philipp unterwies sie in der Taktik, die er von Pelopidas gelernt hatte, und fügte eigene Verbesserungen hinzu, die der Größe der makedonischen Pferde und dem Können ihrer Reiter Rechnung trugen. Er teilte sie in Einheiten von je vierzig Mann ein, unterwies diese Einheiten aber gemeinsam, bis sie nur noch von einem einzigen Willen gelenkt zu sein schienen. Wenn es dann soweit war, mußten sie in der Lage sein, die Reihen des Feindes zu durchbrechen, ohne die eigene Aufstellung aufzugeben, und ihn zu verfolgen, ohne sich zu zersplittern. Es war schwer für sie, denn Makedonier hatten noch nie so gekämpft.
Außerdem, und das war das schwerste von allem, mußten sie lernen, daß sie auf gleicher Stufe mit den Fußsoldaten standen, daß sie nur eine Waffengattung unter anderen darstellten und daß ihr Rang und ihre Geburt ihnen nichts einbrachten. Einmal ließ Philipp, nur um ihnen zu beweisen, daß es ihm ernst war, sogar einen Reiteroffizier auspeitschen, weil er einen Fußsoldaten beleidigt hatte, und als dann blutige Striemen den Rücken des Mannes überzogen, ließ er ihn auf sein Pferd setzen und führte Pferd und Reiter persönlich durch das Lager, damit jeder Soldat und jeder Offizier ihn sehen konnte. Er mußte die Strafe nie mehr wiederholen, denn so etwas kam nicht mehr vor.
Manchmal, wenn er die Männer bis zur Erschöpfunggedrillt hatte, gab er ihnen einen Tag frei, ließ acht oder zehn Ochsen für ein Festmahl braten und hielt am folgenden Nachmittag Spiele ab. Er nahm auch selbst daran teil, allerdings nur beim Speerwerfen und bei den Langstreckenläufen und nie bei den Pferderennen, denn er sagte, sein Sieg würde nur beweisen, was jeder bereits wisse, daß er nämlich als Reiter nichts wert, sein schwarzer Hengst Alastor aber schneller als Pegasos sei. Nur einmal empfing er den Siegeskranz bei einem Wettlauf, und an diesem Tag trugen ihn die Männer auf ihren Schultern über das Spielfeld, denn sie hatten gelernt, ihn zu lieben, und so wurde sein Triumph der ihre.
Am Tag nach dem ersten Wintersturm kam Perdikkas auf dem Rückweg von einem Jagdausflug ins Lager. Philipps Soldaten konnten nur vermuten, um wen es sich handelte, als sie sahen, daß ihr Feldherr sich aus ihren Reihen löste, zu der Reitergruppe ging und einem von ihnen vom Pferd half.
»Es heißt, du hast Wunder vollbracht«, sagte der König, während er mit seinem Bruder das Scheingefecht zweier Fußtruppenphalangen beobachtete. »Es heißt, daß deine Soldaten diese neue Art der Kriegführung schon sehr
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