Der Makedonier
Es war ein Bauerndorf, in dem die Leute arm waren, und als die Elimioten nichts fanden, das sie mitnehmen konnten, machten sie ihrem Zorn Luft, indem sie die Männer abschlachteten und Frauen und Kinder in die Sklaverei verschleppten. Jetzt wächst Gras auf den Dreschböden, und der Wind pfeift über die unbegrabenen Gebeine der Toten. Mädchen, die sich einen Gatten erhofft hatten, fristen jetzt ihr Leben in den Haushalten von Fremden, alte Frauen schon,bevor sie zwanzig geworden sind, denn tagsüber ächzen ihre Seelen unter der Arbeit, und nachts sind sie die Bettsklavinnen der Mörder ihrer Eltern. Wie sie die Toten beneiden müssen!«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich dann immer am Feuer, denn Philipp schien ihnen aus der Seele zu sprechen, und er ließ sie zum erstenmal mit dem Verstand erkennen, was sie im Herzen schon immer gewußt hatten. Es hieß, wenn Philipp spreche, sei es, als flüsterten einem die Parzen ins Ohr.
»Überall um uns herum wird heute nacht geweint. Es gibt Wehklagen und Hunger, denn die Elimioten sind wie eine Heuschreckenplage, die nur nackte Erde hinterläßt. Sie plündern und zerstören, aber wer sind sie? Sind sie nicht Männer wie wir? Sind sie nicht unsere Brüder? Sind sie nicht Makedonier? Wie können sie uns dann solche Angst einjagen? Und warum?
Wir, die Söhne Makedoniens, Nachkommen des großen Gottes Zeus, sind nicht wie andere Männer«, fuhr er fort, beschwörend wie ein Priester. »Die Menschen der südlichen Länder werden beherrscht von Tyrannen oder einem Rat der Fünfhundert oder von den Launen, die sich in den Eingeweiden der Mehrheit rühren, wir aber sind seit Menschengedenken unseren Königen treu ergeben. Und über all die kleinen Könige der Makedonier haben die Götter das Haus der Argeaden gestellt, die Abkömmlinge des Herakles, um über uns zu herrschen. Sie sind unsere Zierde – und manchmal unsere Bürde. Denn ein Mann ist nicht immer weise und tapfer, gerecht und tugendhaft, nur weil er ein König ist. Und ein schlechter König führt sein Volk in Schande und Vernichtung, er stachelt seine Untergebenen an zum Krieg gegen ihre Brüder und macht ihren Namen zum Fluch. Solch ein Mann ist Derdas, der König der Elimioten – ein niederer Mann, eitel, verschlagen und dumm.
Hat er denn nicht bemerkt, daß es einen König gibt inPella? Und glaubt er, daß unser König Perdikkas, seinf Herr ebenso wie der unsere, untätig zusehen wird, wenn seine Untertanen getötet und geschändet werden? Nein! Ich sage euch, das wird er nicht. Er wird Feuer und Schwert über die Plünderer seines Reichs bringen. Er wird sie in die Finsternis des Todes treiben, denn Perdikkas, der König, wird sein Volk rächen!«
Und in jedem Dorf bejubelten die Bewohner, die nun endlich ihre Stimme gefunden hatten, die Vision, die Philipp vor ihnen hatte entstehen lassen. Wohin er auch kam, flehten Männer ihn um die Ehre an, ihm in die Schlacht folgen zu dürfen, so daß er für jeden, den er auswählte, viele andere zurückweisen mußte.
»Glaubt nicht, daß es einfach ist, Soldat zu sein«, rief er den Bauernjungen zu, die ihn umringten. »Die Ausbildung wird hart sein, und die Schlacht selbst noch schlimmer. Ihr werdet Leid und Schmerz kennenlernen, und einige von euch werden nicht den Sieg finden, sondern den Tod. Doch mit dem Opfer eures Lebens werdet ihr die Gnade des Friedens für jene erwerben, die euch überleben. Eure Brüder und Schwestern werden ohne Angst auf ihrem Land leben, und sie werden euer Andenken ehren, so daß ihr wie die Väter aller kommenden Generationen sein werdet.«
So konnte Philipp schließlich fast achthundert Männer aus den Bergen des Westens ins Tiefland führen. Eine Reitstunde von Pella entfernt ließ er ein Lager aufschlagen – man mußte ja nicht unbedingt die Dorfjungen den Verführungen der Stadt aussetzen –, verstärkte die Truppe mit etwa hundert Soldaten aus der Garnison und machte sich daran, daraus eine Armee zu formen.
Aber eine Armee braucht mehr als nur Drill. Sie muß ernährt und mit Ausrüstung versorgt werden, und deshalb ging Philipp gleich an seinem ersten Morgen in Pella, noch bevor er seinen Bruder gesehen hatte, zu dem Ha us, in dem er aufgewachsen war, um den alten Glaukon zu besuchen.
»Ich brauche dich«, sagte er. »Ich brauche jemanden, der sich darum kümmert, daß meine Soldaten frisches Fleisch bekommen und Stiefel, die nicht schon nach dem ersten Tag im Schnee auseinanderfallen. Ich muß jede Drachme ausquetschen
Weitere Kostenlose Bücher