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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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und Philipp war ein guter Makedonier. Daß dieser König auchsein Vater war, hatte keine Bedeutung für ihn. Was war überhaupt ein Vater? Jemand, der unerreichbar weit weg war – wie ein König.
    »Dann müssen wir gehen.«
    Philipp war ein wenig erstaunt über den Klang seiner Stimme. Es war, als gehörte sie einem anderen.
    Auf dem Weg in den Palast erzählte Glaukon ihnen, was passiert war: »König Amyntas hat einen Schlaganfall erlitten. Er ist ohne Vorwarnung einfach zusammengebrochen. Die linke Körperhälfte ist gelähmt. Er kann nur noch flüstern, aber sein Verstand ist klar. Nikomachos glaubt nicht, daß er die nächsten Stunden überleben wird. Er hat nach seinem Sohn gerufen.«
    »Dann hat er Alexandros gemeint«, erwiderte Philipp, als würde er etwas Offensichtliches feststellen.
    »Er hat nicht Alexandros gemeint.«
    Glaukon machte ein verlegenes Gesicht. Obwohl es eine warme Nacht war, zog er seinen Umhang enger um sich, und er beschleunigte seine Schritte. Man merkte deutlich, daß er sich nicht genauer darüber auslassen wollte.
    In dem langen Vorzimmer der Privatgemächer des Königs blieb Glaukon vor einer großen Eichentür stehen.
    »Geht hinein«, sagte er. »Geht ihr beide hinein. Ich werde hier warten. Der König ist ein Mensch wie alle anderen auch, und sein Sterben geht nur seine Familie etwas an. In diesem Zimmer ist kein Platz mehr für Diener.«
    Philipp und Arrhidaios sahen sich an. Das alles kam ihnen sehr merkwürdig vor, und keiner von beiden war je im Schlafzimmer des Königs gewesen.
    Die Tür öffnete sich geräuschlos, und die Jungen traten ein. Das Zimmer war überraschend klein, und die Leute, die sich in ihm drängten, ließen es noch winziger wirken. Niemand sprach, niemand hob auch nur den Kopf, um zu sehen, wer eingetreten war – alle Augen waren auf die Gestalt im Bett gerichtet.
    Zuerst dachte Philipp, der König sei bereits tot, so still lag er da. Er sah unendlich alt aus, so wie man sich vorstellt, daß ein Toter aussieht. Eine Decke reichte ihm bis zur Taille, und seine Hände, die an seinen Seiten lagen, waren bleich wie Wachs. Er hatte die Augen geschlossen und schien nicht mehr zu atmen.
    Doch dann öffnete er die Augen.
    Er musterte die Gesichter der Umstehenden, und was er sah, schien ihn zu bestürzen, als wäre ihre Anwesenheit nur ein weiterer erschreckender Beweis für sein Sterben, als wüßte er nicht mehr genau, wer sie waren: seine Söhne, allen voran Alexandros, sein hübsches Antlitz überschattet vom Zorn, als glaubte er sich betrogen; die beiden Frauen des Königs, mit Gesichtern wie Raubvögel; sein Vetter Ptolemaios, mit angemessen ernster Miene; sogar sein Vetter Pausanias, auch er ein Königssohn und der letzte seines Geschlechts, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er mehr Angst vor dem Tod als der Sterbende. Das Haus der Argeaden war vollständig versammelt. Der einzige Fremde war Nikomachos, der Leibarzt des Königs.
    Als der König seinen jüngsten Sohn erblickte, ließ er die Augen auf ihm ruhen. Jetzt bekam es Philipp mit der Angst. Er wagte nicht, seine Augen abzuwenden, denn sein Vater hielt ihn mit seinem Blick fest, als wären die beiden allein.
    Schließlich öffnete Amyntas, der König von Makedonien, die Lippen, doch sogar in der Stille war seine Stimme kaum noch zu vernehmen. Das Sprechen schien ihm unendlich viel Mühe zu machen. Nikomachos hielt ihm eine Schale mit Wein an die Lippen, aber er schüttelte nur den Kopf. Dann machte er mit den Fingern seiner rechten Hand eine winzige Bewegung – eine herbeirufende Geste. Philipp ließ er dabei keine Sekunde lang aus den Augen.
    Philipp trat ans Bett, kniete sich neben seinen Vaterund bedeckte die verwelkte Hand des Königs mit der seinen. Der Sterbende schien seine letzten Kräfte zusammenzunehmen.
    »Manchmal«, sagte er, so leise, daß der Junge ihn kaum verstehen konnte, »manchmal enthüllen die Götter einem Menschen, kurz bevor sie ihm den Lebensatem nehmen, ihren Willen, vielleicht nur, um zu zeigen, was für ein Narr er gewesen ist.«
    Er schloß einen Moment lang die Augen, und man konnte meinen, daß bereits diese wenigen Worte für ihn eine zu große Anstrengung gewesen waren. Dann öffnete er sie wieder, und seine Finger bewegten sich unter Philipps Hand, als wollte er nach ihr greifen.
    »Philipp, mein Sohn, die Bürde des Königs…«
    Aber es war zu spät. Der Rest des Satzes ging in seinem letzten Atemzug unter. Von einer Sekunde auf die andere veränderte sich

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