Der Makedonier
ich ankam, war er bereits dort.«
»Und was hast du für einen Eindruck von ihm?«
Lachios musterte das Gesicht seines Herrn, bevor er antwortete. Könige, das wußte er, waren unberechenbar, wenn es um die Ehre ihrer Familie ging. Bei Derdas hatte man es kaum wagen können, ihm etwas zu sagen, das er nicht hören wollte. Aber Philipp war nicht Derdas. Bei Philipp, dachte Lachios, schwebte man in größerer Gefahr, wenn man ihm etwas anderes als die Wahrheit sagte.
»Einen Feigling kann man ihn nicht nennen«, antwortete er schließlich. »Tapfer ist er, das muß ich ihm zugestehen. Er würde einen guten Kompaniehauptmann abgeben. Aber ihm fehlt das Vorstellungsvermögen, das man als Feldherr braucht. Er legt sich einen Plan zurecht und wendet dabei all die Taktiken an, die wir als Knaben gelernt haben, aber wenn der Plan aus irgendeinem Grund nicht aufgeht, dann ist er beleidigt. Er erwartet, daß die Schlacht sich seiner Vorstellung anpaßt und nicht anders herum. Ich möchte ihm nicht gerne noch einmal mein Leben anvertrauen.«
Man sah Philipp nicht an, wie er diese Bewertung aufnahm. Seine Miene war undurchdringlich. Doch dann beugte er sich über den Tisch und legte Lachios die Hand auf den Arm.
»Ich danke dir«, sagte er. »Du hast gesprochen wie ein Freund. Aber jetzt wollen wir fort von hier und uns einen Ort suchen, wo es ein Feuer und ein wenig Wein gibt. Ich komme mir hier vor wie in meiner Begräbnisurne.«
Als Philipp drei Tage später die Gemächer des Königs aufsuchte – früh am Morgen, um mit seinem Bruder allein sprechen zu können –, mußte er feststellen, daß Perdikkas wenig Lust hatte, über den eben abgeschlossenen Feldzug zu reden. Er hatte andere Neuigkeiten.
»Wenn du noch bis Ende des Monats bleibst, kannst du meine Hochzeit miterleben«, sagte er mit dem Lächeln eines Mannes, der weiß, daß er seinem Gegenüber Unerfreuliches mitteilt. Aber wenn er erwartet hatte, daß sein rechtmäßiger Erbe Enttäuschung zeigen würde, wurde er nun selbst enttäuscht, denn Philipp reagierte auf diese Eröffnung mit einer herzlichen Umarmung.
»Meinen Glückwunsch, Bruder«, sagte Philipp, beinahe lachend. »Eine gute Frau kann einen Mann sehr glücklich machen. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung. Wer ist sie denn? Kenne ich sie?«
Als Perdikkas sah, daß sein Bruder sich wirklich freute, beschloß er, aus Gründen, die er nicht hätte erklären können, sich nun auch selbst zu freuen.
»Die Familie kennst du bestimmt. Sie ist die Tochter von Agapenor, der an der Grenze zu Lynkestis große Ländereien besitzt. Ich glaube, es schadet nicht, wenn ihn Familienbande daran erinnern, daß ich sein König bin und nicht Onkel Menelaos. Außerdem bringt sie eine große Mitgift ein.«
»Aber gefällt sie dir auch als Frau? Ist sie hübsch?«
»In zehn Tagen ist die Verlobung, und dann werde ich es herausfinden.« Perdikkas zuckte die Achseln, als fügte er sich dem unausweichlichen Willen der Parzen. »Angeblich ist sie eine Schönheit. Ich bin mir sicher, sie wird ihre Sache gut machen.«
Jetzt lachte Philipp wirklich. »In zehn Tagen wirst du nicht mehr so gleichgültig sein. Möge sie aus deinem Bett einen Glutofen machen, und mögest du zehn Söhne zeugen, bevor du dreißig bist!«
Perdikkas löste sich aus der Umarmung seines Brudersund setzte sich an den Tisch, auf dem noch die Überreste des Frühstücks standen. Er sah sich um, als wäre seine Anwesenheit in diesem Zimmer, das einst Alexandros’ Arbeitszimmer gewesen war, die größte Leistung seines Lebens, aber er wirkte dabei nicht sehr glücklich. Er hatte immer Angst gehabt vor seinem älteren Bruder, dem es Spaß gemacht hatte, ihn wegen seines Mangels an kör-perlicher Gewandtheit und Witz aufzuziehen, und jetzt erschien es Perdikkas als Zeichen mangelnder Achtung, daß Philipp nicht ebenso Angst hatte vor ihm. Es gab Augenblicke, in denen er nicht sicher war, ob nicht auch Philipp sich über ihn lustig machte.
»Du solltest nicht so schnell beleidigt sein«, sagte Philipp leise, denn er spürte, was in seinem Bruder vorging, »Oder willst du, daß ich mich verhalte wie dein Untertan, auch wenn wir beide allein sind?«
»Du bist mein Untertan.« Perdikkas versuchte, kühl zu bleiben, aber es gelang ihm nicht so recht. »Du bist mein Untertan«, wiederholte er.
»Aber ich bin auch dein Bruder, Perdikkas – und Mord, Verrat und Wahnsinn haben in unserer Familie schon genug Tribut gefordert. Nur wir beide sind noch übrig.
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