Der Makedonier
Wenn ich mit dir nicht über deine Heirat scherzen kann, dann hast du niemand, bei dem du etwas anderes sein kannst als ein König. Wir beide haben nur noch uns.«
Anstatt zu antworten, starrte Perdikkas die Wand hinter Philipps Kopf an. Er wirkte abwesend, fast so, als hätte er vergessen, daß er nicht allein war, oder als zögen ihn irgendwelche Erinnerungen in ihren Bann. Es war ein Verhalten, mit dem manche Männer ihre Verlegenheit überspielen.
»Deine Reiterei hat bei Amphipolis gut gekämpft«, sagte er schließlich, als hätten sie nie über etwas anderes geredet. »Vielleicht behalte ich sie einige Zeit hier in Pella.«
Philipp kniff die Augen zusammen. »Was hast du vor?«
»Na ja, vielleicht haben wir gegen den falschen Feind gekämpft.«
Der König von Makedonien nahm seine Trinkschale in die Hand und setzte sie, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie leer war, wieder ab. Er goß sich keinen Wein aus dem Krug nach, der daneben stand. Er schien sie vollkommen zu vergessen, so als hätte sie ihren Zweck erfüllt.
»Athen sollte aus dem Norden herausgehalten werden«, sagte er und starrte dabei wieder ins Leere. »Es sollte sich damit zufriedengeben, Töpferwaren nach Asien zu verkaufen. Die Chalkidier wissen, daß ich zu diesem Bündnis gezwungen wurde, und schicken mir jetzt Abgesandte. Vielleicht ist das der Augenblick, um die Seiten zu wechseln.«
»Und was zu tun?«
»Und die Athener aus Pydna und Methone zu vertreiben.«
Er lächelte, als er das sagte, so als wären Gedanke und Tat beinahe dasselbe.
»Erstens werden die Athener sich nicht aus dem Norden vertreiben lassen«, erwiderte Philipp erregt. »Zumindest nicht von uns. Überleg doch mal, Bruder – wir sind zu schwach und werden außerdem von zu vielen Seiten bedroht, um mit Athen wegen Pydna und Methone einen Krieg anzufangen.«
»Die Garnisonen, die sie dort noch haben, sind nur klein, und sie haben eben eine Niederlage erlitten. Die Versammlung wird wenig Lust haben, Geld für Verstärkung zu bewilligen, nachdem sie gesehen hat, wie unsere Reiterei sich bei Amphipolis geschlagen hat. Außerdem haben wir sowohl Theben wie den Chalkidischen Bund auf unserer Seite.«
»Sowohl die Thebaner wie der Chalkidische Bund werden es begrüßen, wenn wir die Athener Garnisonen angreifen. Aber wenn Athen darauf reagiert – unddas wird es, da es keine andere Wahl hat –, wird keiner von beiden auch nur einen Finger rühren, um uns zu helfen.«
»Ich glaube, du hast Angst.« Perdikkas stand auf und nahm eine Haltung ein, die bedrohlich hätte wirken können, wären die beiden Männer nicht drei oder vier Schritte voneinander entfernt gewesen.
»Davor? Ja! Wenn du mit Athen einen Krieg beginnst, begehst du eine Torheit, an die man sich in tausend Jahren noch erinnern wird. Willst du das wirklich, Bruder? Willst du allen Ernstes als letzter König der Makedonier in die Geschichte eingehen?«
»Ich glaube, du hast Angst«, wiederholte Perdikkas, als hätte Philipp überhaupt nichts gesagt. »Du hast dir einen großen Namen geschaffen, weil du ein paar Bergstämme besiegt hast, aber du kannst es nicht ertragen, daß jemand deinen Ruhm in den Schatten stellt – NICHT EINMAL DEIN ÄLTERER BRUDER UND KÖNIG!«
Philipp sah zur Tür, weil er sich fragte, ob jemand das Schreien gehört hatte und nun hereingestürzt kommen würde, um nachzusehen, ob der König ermordet worden war. Vielleicht war es nur gut, daß keiner von beiden bewaffnet war, denn Perdikkas war rot im Gesicht, und die Adern am Hals traten hervor wie Stricke.
»Dann geht’s dir also nur um den Ruhm?« fragte Philipp herausfordernd ruhig. »Du möchtest wohl gern ein großer Eroberer sein? Dann zieh nicht in den Krieg gegen Athen. Wenn du willst, bleibe ich im Bett, wenn es das nächste Mal einen Grenzzwischenfall mit Eordaia gibt. Aber zieh nicht in den Krieg gegen Athen. Wenn ich mich wirklich als dein Rivale betrachten würde, dann würde ich dich ermutigen, es zu tun, denn ich an deiner Stelle würde es nicht wagen.«
»Geh mir aus den Augen, Philipp.«
Noch lange, nachdem Philipp das Zimmer verlassen hatte, saß Perdikkas am Tisch und trank den Wein, der v om Frühstück übriggeblieben war. Der Wein war im Verhältnis zwei zu fünf mit Wasser vermischt, aber Perdikkas trank ansonsten nur sehr mäßig, und deshalb wirkte auch dieses stark verwässerte Gemisch besänftigend auf ihn. Ohne den Wein wäre er vermutlich an seiner Wut erstickt.
Warum nur hatte sein
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