Der Makedonier
Stelle seines Vaters treten, und solange ich keine eigenen Söhne habe, ist er mein einziger Erbe. Er lebt unter meinem Schutz. Möge sich das jeder Mann, der ihm ans Leben will, einprägen, denn die Feinde dieses Knaben werden auch tneine Feinde sein.«
Philipp gab das Kind seiner Mutter zurück, die sich vor ihn hinkniete und ihm die Füße geküßt hätte, wenn er sie nicht zum Aufstehen gezwungen hätte.
»Genug jetzt, schließlich warst du die Frau eines Königs. Erniedrige dich nicht noch mehr.«
Einen Augenblick lang standen sie sich so gegenüber, und nun zeigte es sich, daß die Bürger von Pella seine Entscheidung begrüßten, denn sie jubelten noch lauter als zuvor. Aber Philipp hörte nicht der Menge zu.
Siehst du? Sie haben ihre Wahl getroffen, hörte er sich selbst sagen, mit der Stimme des kleinen Jungen, der er einmal gewesen war. Und er sah das Gesicht seines Halbbruders Arrhidaios, der lächelte.
Ja, sie haben ihre Wahl getroffen.
35
DER MONAT DES Artemisios bedeckte das Weideland in der Nähe der thrakischen Grenze mit blauen Blumen. Philipp und seine Soldaten waren von Heraklea Sintika gekommen und lagerten jetzt am Südufer des Sees Kerkinitis. Sie waren nur etwa hundert Mann, und der Feind war kaum mehr als eine Stunde entfernt, aber das waren die Bedingungen, auf denen König Berisades bestanden hatte.
»Ich glaube, er will dir die Kehle durchschneiden, in Makedonien einmarschieren und deinen Vetter Pausanias auf den Thron setzen«, murmelte Korous und stocherte mit der Spitze seines Schwerts im Feuer.
»So ruinierst du dir die Klinge«, bemerkte Philipp.
Korous zog sein Schwert aus dem Feuer und legte es indas lange, noch taufeuchte Gras. Es zischte wie eine Natter.
»Trotzdem, er hat vor, dich zu töten.«
»Und würde Pausanias einen schlechten König abgeben?«
Philipp lächelte und kratzte sich den Bart. Er hatte sehr gut geschlafen, wie immer im Freien, und er war zum Scherzen aufgelegt. Aber der Witz kam bei Korous nicht gut an.
»Es heißt, daß er im Exil unglaublich fett geworden ist«, erwiderte Korous bedrückt. »Und er war immer schon ein feiger, rachsüchtiger kleiner Wurm. Weißt du noch, wie wir als Kinder sein Pferd mit Äpfeln gefüttert haben und er uns an den Stallmeister verraten hat, der uns dann verprügelt hat?«
»Ich glaube, wir haben dem Pferd zwanzig Äpfel gegeben. Die Prügel haben wir verdient.«
»Vom Standpunkt der Thraker aus würde er einen ausgezeichneten König abgeben.«
»Dann werde ich versuchen, daran zu denken, mir von Berisades nicht die Kehle durchschneiden zu lassen.«
»Was wirst du ihm sagen?«
»Pausanias? Warum? Hast du eine Nachricht für ihn?«
»Versuch doch mal, ernst zu sein, Philipp. Die Sache macht mir Angst, und du reizt mich noch zusätzlich. Was wirst du zu Berisades sagen?«
Philipp legte den Kopf zur Seite und machte dabei den Eindruck, als überlegte er sich das jetzt erst. Dabei hatte er seit Beginn seiner Herrschaft kaum an etwas anderes gedacht.
»Ich werde ihm nichts sagen, was er nicht bereits weiß«, sagte er schließlich. »Wichtig ist nur, ihn daran zu erinnern, daß auch ich es weiß.«
Die Treffen waren sorgfältig vorbereitet worden. Eine von Philipps ersten Handlungen als König war es gewesen,Botschafter nach Thrakien und Paionien zu schicken, doch dann hatte es fast einen Monat gedauert, bis die Rahmenbedingungen für diese Begegnung mit König Berisades ausgearbeitet waren. König Agis von Paionien, so hatten seine Minister verlauten lassen, sei zu alt und zu schwach, um seine Hauptstadt zu verlassen, doch jeder wußte, daß das nur eine Finte war. Agis war ein gerissener alter Gauner, der zuerst sehen wollte, was Berisades dem König von Makedonien abpressen konnte, um dann mehr zu verlangen. Und das machte dieses erste Treffen um so bedeutsamer.
Philipp hatte bereits ein Zugeständnis gemacht, indem er einwilligte, auf thrakisches Gebiet zu kommen, hatte aber im Gegenzug verlangt, daß die Begegnung außerhalb der Stadt Eion stattfinden sollte, auf dem schmalen Landstrich, den die Thraker am Westufer des Strymon besetzt hielten. Das bedeutete, daß er sich wenigstens nicht über Wasser würde zurückziehen müssen, falls Berisades ihm eine Falle stellte; das war aber auch nur ein sehr geringer Vorteil.
Der Schauplatz des Treffens war eine weite Ebene, die im Osten vom Fluß und im Süden vom Meer, das am Horizont an einem schwachgrauen Dunststreifen gerade noch zu erahnen war,
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