Der Makedonier
eine Unverschämtheit, wenn zwei Könige offen über ihre jeweiligen Schwächen sprechen. Wir haben doch beide Botschafter, die für uns lügen, da können wir uns den Luxus der Aufrichtigkeit leisten.«
Philipp lächelte nicht, als er dies sagte, und seine blaugrauen Augen sahen Berisades so durchdringend an, daß es schon fast grausam war. Er wartete, bis sein Gegenüber nicht mehr anders konnte, als den Blick abzuwenden.
»Mein Königreich ist bedroht. Die Illyrer warten nur darauf, den Westen übernehmen zu können, und die Athener werden den Thermäischen Golf an sich reißen, sobald sie eine Gelegenheit dazu sehen. Und im Norden werden sich die Paionier holen, was sie kriegen können.«
»Und auch ich bin nicht ohne Wünsche«, unterbrach ihn Berisades und sah den König von Makedonien an, als wollte er ihn samt seinem Pferd verspeisen.
Doch er meinte es nicht so. Er rächte sich nur an Philipp, weil es ihm nicht gelungen war, ihn einzuschüchtern, und Philipp nahm es deshalb nicht persönlich. Statt dessen fuhr er fort, als hätte er den Einwurf überhaupt nicht gehört.
»Ich glaube, die Athener werden als erste zuschlagen. Die Illyrer haben den Sieg über meinen Bruder nicht ausgenutzt, deshalb glaube ich, daß sie abwarten werden. Die Götter wissen warum, denn ich an ihrer Stelle hätte das nicht getan. Aber je stärker die Athener im Golf werden, desto mehr Druck werden sie auf Chalkidike ausüben, bis der Bund gezwungen ist, zu helfen, und wenn das geschieht, werden sie Thrakien jeden Zugang zum Meer versperren.«
»Das kann ich verhindern«, murmelte Berisades, wie zu sich selbst. Philipp bemerkte, daß er sich nervös umsah, als fürchtete er, die wehenden Grashalme an denFesseln seines Pferdes könnten sich in feindliche Fußsoldaten verwandeln. »Mit meiner Hilfe kann der Bund weiterhin Widerstand leisten.«
Jetzt war es an Philipp, zu lachen.
»Der Bund wird sich gar nicht an dich wenden«, sagte er verächtlich. »Was ist Thrakien denn anderes als ein dünn bevölkertes Stückchen Ödland am Rande der Welt? Was du insgesamt an Soldaten aufbringen kannst, könnte Athen mit den Hafengebühren eines Monats bezahlen. Verstehst du jetzt? Wenn ich falle, wie lange wird es dann dauern, bis du an der Reihe bist? Mein Überleben ist dein Überleben, wir brauchen einander.«
Einen Augenblick lang sah Berisades ihn voller Angst an. Aber es war nicht Athen, das er fürchtete, auch nicht den Zusammenbruch seines Bündnisses mit dem Chalkidischen Bund, nein, es war Philipp selbst, der trotz seiner Jugend die Welt mit so kalten, wissenden Augen betrachtete. Philipp ließ ihn seine Verletzlichkeit spüren, ließ ihn sie spüren wie einen kalten Wind, und seine Angst wurde noch verschlimmert durch den immer stärker werdenden Verdacht, daß dieser Junge sich offenbar vor gar nichts fürchtete.
»Was willst du von mir?« fragte er schließlich, und der Klang seiner Worte schien ihn ein wenig zu überraschen. Es war beinahe so, als wäre er der Bittsteller.
»Zeit.« Philipp beugte sich vor und streichelte Alastors Hals. Er sah den thrakischen König nicht einmal an. »Zeit, um meine Armee wiederherzustellen. Zeit, um mich umzusehen und mich auf den Krieg gegen die Illyrer vorzubereiten. Ich bin bereit, für einen Frieden mit Thrakien zu bezahlen, aber ich warne dich, treibe deine Forderungen nicht zu weit. Wenn ich untergehe, wird innerhalb eines Jahres ein Illyrer auf dem Thron in Pella sitzen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß du Bardylis gern zum Nachbarn hast, denn was soll ihn davon abhalten, einfach immer weiter nach Osten zu reiten, bis er alleLänder zwischen hier und dem Bosporus erobert hat? Und dann ist der alte Gauner das Problem des persischen Königs, denn wir beide sind dann schon längst tot.«
Als sehr kleiner Junge war Berisades einmal bei einem geringfügigen Vergehen ertappt worden – nach so langer Zeit wußte er gar nicht mehr, was es gewesen war –, und sein Vater hatte ihn wie einen Sklaven auspeitschen und dann nackt in einen Eisenofen in der Küche sperren lassen. Er werde später entscheiden, ob er ein Feuer unter dem Ofen anzünden lasse, hatte sein Vater gesagt, und unterdessen müsse er bleiben, wo er sei, in diesem dunklen Gefängnis, das so winzig war, daß er den Kopf zwischen die Knie ziehen mußte. Drei Stunden lang hatte er dort ausharren müssen, und in der ganzen Zeit hatte er an nichts anderes denken können, als daran, daß sein Vater genau der Mann war,
Weitere Kostenlose Bücher