Der Makedonier
selbst, denn er hatte zu lange gelebt, um sich noch um seine Sicherheit Sorgen zu machen. Seine Ängste drehten sich um die Zukunft, die er nicht mehr erleben würde.
Kein Mann freut sich bei dem Gedanken, daß sein Lebenswerk der Zerstörung anheimfällt, und als hätte er die Katastrophe bereits miterlebt und könnte sich nun daran erinnern, wußte Bardylis, daß sein Enkel nie in der Lage sein würde, das Reich zusammenzuhalten, das er so mühsam aufgebaut hatte. Er lebte noch und mußte dochbereits hilflos zusehen, wie Pleuratos in diesen sinnlosen Krieg mit Makedonien stolperte.
»Ich weiß nicht, warum du dir deswegen in die Hosen machst«, hatte Pleuratos in seinem gewohnt verletzenden Ton gesagt. »Wir haben unsere Macht über das gesamte Grenzgebiet ausgebaut und gestärkt. Lynkestis ist nicht mehr viel mehr als eine unserer Provinzen. Wir haben die makedonische Armee zerstört, und ihr König ist tot. Eigentlich hätte ich erwartet, daß du mich zumeinem vollkommenen Sieg beglückwünschst.«
»Sie haben jetzt einen anderen König, oder hast du das nicht gewußt?«
»Philipp?« Pleuratos gestattete sich ein verächtliches Achselzucken. »Er ist nicht mehr als ein ungestümer Junge. Den habe ich durchschaut.«
»Das hast du schon einmal geglaubt, als du versucht hast, ihn umbringen zu lassen.«
Das war ein alter Streitpunkt zwischen ihnen. Bardylis wußte alles über die Abmachung seines Enkels mit Ptolemaios, und ganz abgesehen vom Bruch der Gastfreundschaft, hatte er ihm die so offensichtliche Dummheit seines Vorgehens nie verzeihen können. Es war eins dieser dummdreisten Wagnisse gewesen, bei denen man alles riskiert, um nur wenig zu gewinnen. Von diesem Augenblick, von diesem Morgen an, als er Philipp auf ein Pferd gesetzt und ihm gesagt hatte, er solle um sein Leben reiten, hatten seine Zweifel an Pleuratos sich zu einer Überzeugung verhärtet. Pleuratos’ Fähigkeiten reichten gerade für einen Stammeshäuptling. Ihm fehlte jede Einsicht in seine eigenen Schwächen im Vergleich zu den Stärken der anderen. Er verstand nichts von Diplomatie, die ja nichts anderes ist als die Kunst, den eigenen Schwächen den Anschein von Stärke zu geben, ja er schien überhaupt nur von einer einzigen Sache etwas zu verstehen, nämlich von Krieg. Wenn es irgendeinen anderen gegeben hätte, wenn wenigstens einer von seinen anderenSöhnen oder Enkeln noch am Leben gewesen wäre, hätte Bardylis diesem Trottel schon längst die Kehle durchschneiden lassen oder es mit Freuden selbst getan.
Und wenn er daran dachte, wie leicht Philipp hätte anstelle dieses Dummkopfs sein Nachfolger werden können.
»Aber es bleibt eine Tatsache, daß ihre Armee zerstört wurde«, erwiderte Pleuratos nach langem mürrischem Schweigen. »Und ein König ohne Armee ist nicht viel wert.«
»Philipp wird schon bald wieder eine Armee haben. Aber darum geht es gar nicht.«
»Worum dann?«
»Es geht darum, daß wir Makedonien gar nicht wollen, weil wir nicht die Kraft haben, es zu halten. Das habe ich gelernt, als du noch mit Holzschwertern gespielt hast, als ich nämlich Amyntas aus Pella vertrieben habe. Er kam zurück, ich konnte ihn einfach nicht daran hindern. Damals habe ich erkannt, daß man ein so großes Gebiet, das immer feindlich bleibt, nicht halten kann, ohne sich zu übernehmen. Es ist besser, Makedonien so zu haben, wie es jetzt ist, schwach und fügsam, als selbst irgendwann so schwach zu werden, daß wir überhaupt nichts mehr halten können.«
»Du scheinst zu vergessen, daß ich gewonnen habe!« Pleuratos schrie das beinahe heraus. »Perdikkas und ein Großteil seiner Armee sind tot!«
»Eines Tages wirst du erkennen, daß Philipp aus ganz anderem Holz geschnitzt ist.«
»Hast du deshalb darauf bestanden, daß ihm die Leiche seines Bruders ausgeliefert wird? Hast du vielleicht Angst vor ihm?«
»Nein, ich habe keine Angst vor ihm.« Bardylis schüttelte den Kopf, weil er sich einfach nicht verständlich machen konnte. »Aber du solltest Angst vor ihm haben.«
Die politische Weitsicht war nicht der einzige Grund, warum der König der Dardaner seinem Enkel verbot gegen Makedonien in den Krieg zu ziehen. Seine Beweggründe waren nicht die eines praktisch denkenden Herrschers, und sie waren auch nicht von der Art, daß er es gewagt hätte, sie Pleuratos zu enthüllen.
In Wahrheit hatte die Nähe des Todes Bardylis von einem Ehrgeiz befreit, nur um ihn einem anderen anheimfallen zu lassen. Er hatte sein Leben damit
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