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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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langen Jahre des Exils seine Seele bedrückte… und du wirst das Leben wiederaufnehmen können, zu dem dein Rang dich berechtigt…
    Er konnte sich kaum vorstellen, wie ein solches Leben aussehen könnte. War er doch noch ein Kind gewesen, als sein Bruder Archelaos ihn mitten in der Nacht mit der Schreckensbotschaft aus dem Bett geholt hatte, daß sie fliehen müßten, um ihr Leben zu retten. »Ptolemaios hat bereits verlauten lassen, wir würden uns über den Tod des Königs freuen. Es ist nur noch ein kleiner Schritt von einer solchen Behauptung bis zum Vorwurf des Verrats und des Mordes, und wer von ihm angeklagt wird, ist schon so gut wie verurteilt.«
    Der arme Archelaos, der schon im ersten, elenden Jahr seines Exils an einem Fieber gestorben war, wer würde ihn entschädigen? Arrhidaios merkte plötzlich, daß in seinem Herzen der Haß auf das gesamte Haus der Argeaden loderte, auf die Lebenden und die Toten, die ihm sein Leben verdorben hatten.
    Sein Blick fiel auf die letzte Zeile von Philipps Brief. »Komm nach Hause, mein Bruder, denn ich brauche dich. Die Wölfe umringen mich, und mir wird leichter ums Herz sein, wenn ich die in meiner Nähe weiß, denen ich vertrauen kann.«
    Vertrauen. Was für ein ekelerregender Witz! In einer Familie, in der es vor Verschwörern nur so wimmelte, wer außer Philipp hätte da so naiv sein können, dieses Wort vor einem Verwandten zu benutzen? Unter den Söhnen und Enkeln der makedonischen Könige waren die Vertrauensseligen alle tot.
    Und doch kam es Arrhidaios nicht in den Sinn, die Ernsthaftigkeit von Philipps Angebot in Zweifel zu ziehen. Die einzige Frage war nur, wie er es am besten zu seinem Vorteil nutzen konnte.
    Arrhidaios’ Mutter Gygaia war Amyntas’ erste Frau gewesen, aber viele Jahre lang hatte sie sich unfruchtbar gezeigt, und der alte König hatte deshalb eine lynkestische Prinzessin geheiratet, die ihm zuerst einen Sohn, Alexandros, und dann eine Tochter geboren hatte. Doch dann hatte Gygaia, die zwar die Lieblingsfrau ihres Herrn, aber nicht die war, von der er sich noch Nachkommen erhofft hatte, unerwartet in vier Jahren drei Söhne geboren. Hätte Alexandros ihren gemeinsamen Vater nicht überlebt, wäre Archelaos an seiner Stelle König geworden, und Arrhidaios wäre sein Nachfolger gewesen, da zwar Menelaos, der älteste der drei, vor Erreichen der Volljährigkeit gestorben war, Archelaos aber ein Jahr älter gewesen war als Perdikkas, so wie Arrhidaios selbst zwei Monate älter war als Philipp. Also hatte nur derZufall über ihr Schicksal entschieden, so daß Philipp jetzt König war und Arrhidaios nur ein Exilant, dem man es nach Jahren gestattete, als nützliches, aber harmloses Werkzeug in sein Heimatland zurückzukehren, obwohl doch zwischen ihren Geburtsrechten kaum ein Unterschied festzustellen war.
    Als sie noch Kinder waren, war das ohne Bedeutung gewesen, hatten sie sich doch für sich kein anderes Leben vorstellen können als das von Untertanen, von unbedeutenden Prinzen, die gerade gut genug waren, um in den Kriegen des Königs zu kämpfen und vielleicht mit den anderen Edlen im Rat zu sitzen. Damals hatten sie sich geliebt und keinen Gedanken an den unverständlichen Streit verschwendet, der ihre Vorfahren entzweite. Aber die Parzen waren dazwischengetreten und hatten nahezu das ganze Haus der Argeaden hinweggefegt, so daß nur noch sie beide mit ihren so unterschiedlichen Schicksalen übrig waren. Jetzt war es von Bedeutung.
    Jetzt, so schien es Arrhidaios, war die Welt nicht mehr groß genug für ihn und Philipp. Sie erschien ihm als überfüllter Ort, wo sie nicht anders konnten, als sich beständig auf das Unangenehmste aneinander zu reiben, und wo dem einen die Anwesenheit des anderen ein Ärgernis war. Vielleicht spürte Philipp das ebenso wie er, aber als König hatte er andere Möglichkeiten, sein Leben einzurichten. Wahrscheinlich fiel es Philipp jedoch kaum auf.
    Arrhidaios hielt seinen Bruder nicht für herablassend – er war nicht so engstirnig, ihn mit einem solchen Vorwurf zu beleidigen, nicht einmal tief in seinem Herzen –, daß aber das Angebot echter Zuneigung entsprang und gedacht war als Wiedergutmachung einer Ungerechtigkeit, die Philipp beinahe persönlich nahm, machte die ganze Sache irgendwie noch schlimmer. Es verärgerte Arrhidaios, daß ihm sein Geburtsrecht so als Gunst zurückgegeben wurde, daß er für die Nachwelt als Beispiel für Philipps Großzügigkeit und Gerechtigkeit herhalten mußte. War

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