Der Makedonier
zugebracht, ein riesiges Reich zu errichten, und das einzige, was ihm wirklich am Herzen lag, war der Fortbestand dieses Reichs. In seiner Jugend hatte er sich sein eigenes Volk groß und edel vorgestellt; es sollte über seine Nachbarn herrschen und Wohlstand und Macht sichern. Denn er war der König, und seine Treue gehörte diesem, seinem Volk. Doch das war einmal. Jetzt verachtete er diesen Stamm grausamer Wilder beinahe. Er betrachtete sich selbst nicht einmal mehr als Dardaner. Die Dardaner waren für ihn nur mehr eins seiner Werkzeuge, eins seiner Besitztümer – wie sein Pferd.
Wichtig war ihm jetzt nur noch, daß sein eigen Fleisch und Blut weiterhin über all die Gebiete herrschte, die er seinem Willen unterworfen hatte. Im Lauf der Zeit – das konnte durchaus die Arbeit von Generationen sein – würde dieses Reich vergrößert werden, bis eines Tages seine Nachfahren über das gesamte Land zwischen der Adria und dem Schwarzen Meer herrschten. Aber er hatte alle seine Söhne überlebt, und Pleuratos war ein Narr. Das einzige, was ihm wirklich am Herzen gelegen hatte, blieb ihm versagt, und damit wurden all die großen Siege seines Lebens hohl.
Aber da war ja noch Philipp, der ebenfalls von ihm abstammte. In Philipp erkannte Bardylis sich selbst als jungen Mann wieder. Wäre Philipp kein Makedonier, und lastete auf ihm nicht die erdrückende Last, Sproß der Königsfamilie dieses zersplitterten und verweichlichten R eichs zu sein, hätte aus ihm… nun ja, hätte aus ihm fast alles werden können.
Es war wirklich schade. In ein oder zwei Jahren würde Philipp wahrscheinlich ermordet werden oder in einer Schlacht fallen, und daran würde sich ein langer, düsterer Kampf um die Nachfolge anschließen, bei dem die Überreste des Hauses der Argeaden ihr königliches Blut vergießen würden. Falls Bardylis dann noch lebte, hoffte er, mit etwas Glück die Wahl eines Thronbewerbers bewerkstelligen zu können, der ihm angenehm war, aber das würde kaum etwas ändern. Jedem König von Makedonien war es bestimmt, ein Nichts zu sein, einfach deswegen, weil er König von Makedonien war. Auf dem Titel lastete der doppelte Fluch der Bedeutungslosigkeit und der Niederlage.Philipp war so ein vielversprechender Junge gewesen – es war sehr bedauerlich.
Wie bedauerlich das war, sah der König der Dardaner fast täglich an seiner Urenkelin Audata, die mit achtzehn eigentlich schon längst mit dem einen oder dem anderen König verheiratet sein sollte. Aber sie lebte noch im Hause ihres Vaters, weil Bardylis im Alter erkannt hatte, daß er dieses bezaubernde Mädchen viel mehr liebte als irgendeins aus der Unzahl von Kindern, die er als seine Nachfahren betrachten konnte. Er liebte sie so sehr, daß er ihr einmal törichterweise versprochen hatte, er werde ihr nie einen Gatten aufzwingen, der ihr nicht gefalle. Dieses Versprechen hatte sich als ernster Fehler erwiesen, denn die kleine Audata, deren geheimnisvolle Katzenaugen nicht wenige der großen Männer dieser Welt in ihren Bann gezogen hatten, diese kleine Audata hatte beharrlich jeden Freier abgewiesen, der sich an Bardylis’ Hof eingefunden hatte. Als er sie deswegen zur Rede stellte und sie fragte, warum sie so unvernünftig wählerisch sei, offenbarte sie ihm ihr Herz, vertraute sie ihm an, was er vermutlich am wenigsten hören wollte.
»Weißt du noch, als ich ein kleines Kind war?« fragte sie, als nötigte sie ihn damit, weit in die Vergangenheit zurückzugreifen. »Weißt du noch, daß du mir einmal gesagt hast, ich würde die Frau eines großen Königs werden?«
»Ja. Das weiß ich noch sehr gut«, antwortete Bardylis und lächelte bei der Erinnerung. »Es gibt davon viele in der Welt, und die Hälfte von ihnen hast du schon abgewiesen. Was stimmt denn zum Beispiel mit Lyppeios von Paionien nicht? Er ist ein sehr vorzeigbarer Junge und der älteste Sohn eines greisen und kranken Vaters. Warte ein oder zwei Jahre, dann ist Agis tot. Oder reicht Paionien nicht, um deinen Ehrgeiz zu befriedigen?«
»Ein hübsches Nichts, das zufällig über ein riesiges und blühendes Reich herrscht, ist kein großer König.«
Sie sagte das mit einer so gelassenen Selbstsicherheit, daß der König der Dardaner, der sich selbst in jeder Hinsicht als großen König betrachtete, erschrak. Wann hatte sie sich eine so feste Meinung gebildet? Es wäre gut, das zu wissen, aber Bardylis konnte sie kaum danach fragten. Er konnte sich nur wundern und wünschen, der Narr Pleuratos
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