Der Makedonier
»Keinem ehrlichen Mann soll etwas geschehen. Und ich möchte euch befreien von…«
»Von was, Prinz? Von was willst du uns befreien mit dieser Horde fremder Söldner in deinem Rücken? Oder von wem?«
Es hätte Aufregung sein können oder auch Zorn, aber das Gesicht des alten Soldaten schien mit jedem Augenblick dunkler zu werden, als würde er den Atem anhalten.
»Sag, Prinz! Von was möchtest du uns befreien?«
»Ich möchte euch aus der Tyrannei befreien, ich möchte…«
»Ach, dann möchtest du uns also von Philipp befreien-das ist es. Du willst uns die Freundlichkeit erweisen, an seiner Stelle über uns zu herrschen.«
Epikles sah sich im Kreis seiner Offiziere um, als würde er sie still zählen.
»Die Mühe brauchst du dir gar nicht zu machen, Prinz. Wir kennen ihn und dich, und wir ziehen den König vor, den wir haben.«
Von der Mauer drang zustimmendes Gelächter herunter, und ein schwaches Echo davon konnte Arrhidaios auch hinter seinem Rücken hören. In diesem Augenblick wußte er, daß Demosthenes ihn hereingelegt hatte, daß er nie König von Makedonien, daß er nie irgend etwas sein würde. Die Demütigung brodelte in ihm wie flüssiges Eisen.
»Du wirst mir diese Stadt und ihre Garnison ausliefern, Epikles, oder ich werde sie einnehmen!« rief er. »Ich werde dich am Haupttor aufhängen lassen. Ich werde deinen Kadaver den Hunden zum Fraß vorwerfen!«
»Es wird nicht mein Kadaver sein, über den sich die Hunde hermachen, Prinz, denn wenn ich mich nicht täusche, ist Philipp bereits hierher unterwegs.«
Epikles zog sein Schwert und warf es in hohem Bogen von der Mauer herab. Es segelte blitzend durch die Luft und fiel so knapp vor Arrhidaios zu Boden, daß sein Pferd scheute.
»Ich erweise dir diesen letzten Dienst, Prinz, denn ich war schon Soldat in der Armee deines Vaters, als du noch gar nicht auf der Welt warst, und ich ehre das Haus der Argeaden. Nimm mein Schwert, such dir ein stilles Plätzchen, und stürz dich hinein. Ich biete dir einen ruhigen Tod an, bei dem du sogar noch einen Rest Würde bewahren kannst. Der König, dein Bruder, wird wahrscheinlich nicht so viel Mitleid mit dir haben.«
Arrhidaios, der vor Wut kaum mehr an sich halten konnte, wollte Epikles schon seine Verachtung entgegenschreien, doch Timoleon packte seinen Umhang und zog so heftig daran, daß er beinahe vom Pferd gefallen wäre.
»Du Trottel, sei still«, zischte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Diese Stadt kann man nicht einnehmen auch nicht mit viertausend Mann, und vor allem nicht in ein oder zwei Tagen. Siehst du denn nicht, daß du verloren hast?«
Arrhidaios’ Wut war verflogen, so schnell sie gekommen war, und an ihre Stelle trat eine entsetzliche, lähmende Angst. Dieser Mann, der ihn noch vor einer Stunde als König bezeichnet hatte, verhöhnte ihn jetzt. Trottel – wenn Timoleon dieses Wort ungestraft benutzen durfte, dann war er, Arrhidaios, wirklich von allen verlassen.
»Mein Bruder wird keine große Armee haben.« Arrhidaios war sich des Zitterns in seiner Stimme bewußt. »Wir können ihn besiegen…«
»Besieg ihn doch selbst, denn ich habe gehört, daß dein Bruder alles andere als ein braves Lämmchen ist. Bildest du dir ein, daß wir wegen dir alles aufs Spiel setzen? Ich führe meine Männer nach Methone zurück. Du kannst mitkommen, wenn du willst, du kannst aber auch versuchen, König Philipp allein zu besiegen.«
So endete, noch vor dem ersten Schwertstreich, Arrhidaios’ Feldzug zur Eroberung des makedonischen Throns. Was würde jetzt aus ihm werden? Vielleicht würde einer der Makedonier auf den Gedanken kommen, heute nacht in sein Zelt zu schleichen und ihm die Kehle durchzuschneiden. Vielleicht würde man Philipp seinen Kopf als Friedensangebot darbringen. Oder vielleicht – und das wäre das schlimmste – würde er auch am Leben bleiben und ein vergessener alter Mann werden, an den man sich höchstens noch als Witzfigur erinnerte.
Jemand nahm sein Pferd beim Zügel und führte ihn weg. Er mußte die Verwünschungen gemeiner Soldaten über sich ergehen lassen, die ihn einen Narren nannten und noch Schlimmeres. Jetzt würden sie keinen Sold erhalten, und sie gaben ihm dafür die Schuld. Er war wie betäubt. All seine Hoffnungen hatten sich zerschlagen.
Er wußte nicht, wie lange er so dagesessen hatte, als ihn plötzlich Alarmrufe aus seinen Gedanken rissen. Er brauchte nur den Kopf zu drehen, um den Grund dafür zu erkennen. Am nördlichen Horizont sah er den
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