Der Makedonier
Staub, den eine lange Reiterkolonne aufwirbelte.
»Na, jetzt bekommst du ja doch noch deinen Willen«, knurrte Timoleon. »Davonlaufen können wir vor ihm nicht, also werden wir uns dem Kampf stellen müssen.«
Er beugte sich im Sattel ein wenig vor und beschirmte die Augen, um besser zu sehen.
»Sprich ein Gebet, Prinz, denn binnen einer Stunde wird dein Bruder, der König, bei uns sein.«
40
DIE ATHENER VERLASSEN sich darauf, daß sie mit dem ersten Biß gleich das größte Stück herausreißen können«, sagte Philipp, als die Nachricht ihn erreichte, daß mehrere Kompanien in Methone gelandet waren. »Sie werden nach Aigai marschieren.«
Seine Offiziere warfen sich Blicke zu.
»Aber sie müssen doch wissen, daß sie nie Erfolg haben können, bevor sie dich nicht in eine Schlacht verwickelt und geschlagen haben«, gab Korous zu bedenken. »Wenn ich der Athener Feldherr wäre, würde ich sofort mit meinen noch frischen Männern nach Norden marschieren und Pella bedrohen; so könnten sie dich doch am ehesten zum Kampf zwingen.«
»Das würde ich auch tun, aber Arrhidaios muß sich zuerst zum König ausrufen lassen, und Aigai ist die alte Hauptstadt. Er wird als erstes sie einnehmen wollen.«
»Hat dein Bruder da seine Hände im Spiel?«
»O ja«, antwortete Philipp mit einem langsamen Kopfnicken. »Die Athener achten sehr auf den äußeren Schein, und sie wollen doch als Befreier dastehen. Wahrscheinlich erwarten sie, daß die Garnison sich durch eine Demonstration von Stärke beeindrucken läßt und zu Arrhidaios überläuft. Und so unvernünftig ist das ja auch gar nicht.«
»Dann müssen wir sie abfangen, bevor sie Aigai erreichen. Wir sind bereits im Feld und können in weniger als einem Tag bei ihnen sein. Wir können sie dort erwarten. Ich werde sofort Befehl geben, das Lager abzubrechen.«
Lachios stand auf, doch Philipp legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Vor morgen früh werden wir nicht aufbrechen. Die Athener sollen mit eigenen Augen sehen, daß ich mich auf die Treue meiner Untertanen verlassen kann. Und wenn ich mich darauf nicht verlassen kann, dann habe ich es vermutlich verdient, gestürzt zu werden.«
Er lächelte hintergründig, so als machte er den Verrat seines Bruders zu seinem eigenen, und gab seinen Gefährten dann mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er allein sein wolle.
Als die Offiziere des Königs dann am Abend um ein langsam verlöschendes Lagerfeuer saßen, sahen sie immer wieder zu dem dünnen Streifen gelben Lichts hinüber, der aus Philipps Zelt fiel. Er war zum Abendessen nicht herausgekommen.
»Dann sind sie also Halbbrüder?« fragte nach langem Schweigen Lachios, als würde die Art ihrer Verwandtschaft alles erklären.
»Ja. Arrhidaios war das Kind der ersten Frau des Königs.«
»Und waren sie als Jungen enge Freunde?«
»So eng, daß Philipp der Verrat besonders schmerzt.« Korous hielt seine Trinkschale zwischen Daumen undZeigefinger in die Höhe, als wollte er darin etwas auffangen. Dann setzte er sie wieder ab. »Es war ein harter Tag für ihn: erst Deucalions Abreise und jetzt auch noch das. Obwohl ich glaube, daß Philipp der einzige ist, den es überrascht.«
»Taugt dieser Bruder denn als Soldat etwas?«
»Wer kann das sagen?«
»Wir hätten sofort nach Aigai aufbrechen sollen«, bemerkte Lachios niedergeschlagen. »Das Warten war ein Fehler.«
»Vielleicht muß er sich selbst etwas beweisen, auch wenn es nur um die Treue einer einzigen Garnison geht.«
»Und werden sie die Stellung halten? Obwohl die Athener in Methone sind?«
»Epikles ist kein Mann, der sich je einen Athener zum Freund machen würde.«
»Ja, aber seine Offiziere betrachten die Sache vielleicht etwas nüchterner. Ihr aus dem Flachland habt ja nicht immer so treu zu euren Königen gestanden.«
Lachios grinste, um zu zeigen, daß er nur einen Spaß gemacht hatte, aber Korous schien die Sache sehr ernst zu nehmen.
»Ich kann’s mir nicht vorstellen«, sagte er schließlich. »Ich glaube, die Soldaten würden meutern und ihren Offizieren die Kehlen durchschneiden, wenn sie ihren König verraten würden. Philipp hat etwas an sich, das jeder spürt – daß er irgendwie anders ist, daß er ist wie sonst kein Mann, daß er irgend etwas Einzigartiges in sich trägt. Seine Soldaten spüren es, und sie vertrauen ihm deshalb ihr Leben an. Ich spüre es, und ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit.«
»Dann war es vielleicht klug von ihm, zu warten.«
»Ja,
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