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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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zu erkennen, daß dem so war, daß man ihm keine andere Wahl ließ.
    »Dann gewähre mir eine Stunde, damit ich mich verabschieden kann.«
    »Dazu ist keine Zeit, Philipp.«
    Die beiden Männer sahen sich einen Augenblick lang in die Augen. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Sie verstanden sich ohne ein Wort.
    Philipp drehte sich auf dem Absatz um und verließ dasZimmer.
    Vor der Tür empfingen ihn Wachen, die ihn in Glaukons Haus zurückbrachten. Ihm blieb weniger als eine Viertelstunde, um sich auf die Reise vorzubereiten. Der Haushofmeister des Königs, der sich hütete, Fragen zu stellen, auf die es keine Antwort gab, sah schweigend zu, wie er einige wenige Kleidungsstücke in einen Weidenkorb packte.
    »Falls jemand nach mir fragen sollte, sag, ich wäre geblieben, wenn ich gekonnt hätte.«
    »Wer sollte denn fragen, mein Prinz?« Philipp sah auf seine Hände hinunter, während er die Wintertunika zusammenlegte, die Alkmene ihm vor seiner Abreise zu den Illyrern genäht hatte. Auch jetzt erwartete ihn wieder das Schicksal einer diplomatischen Geisel. Ob auch am Ende dieser Reise ein Attentäter auf ihn lauern würde?
    »Niemand, Glaukon«, antwortete er. Vielleicht liebte er dieses schlanke, zartgliedrige Mädchen, das sich ihm auf dem Feld der Toten hingegeben hatte. Es war sogar möglich, daß sie seine Liebe erwiderte, doch er hatte kein Recht, jemand in sein Schicksal mit hineinzuziehen. »Überhaupt niemand.«
    »Überhaupt niemand.« Die Worte hallten in seinem Kopf nach, als er von der Paßhöhe hinuntersah auf die weiten Ebenen von Böotien. Sogar in den Bergen war die Hitze grausam gewesen, und das Grasland war von der Sonne verbrannt. Es war eine lebensfeindliche Gegend, und er fühlte sich in ihr allein.
    Die Männer, die ihn begleiteten, waren leichtbewaffnete Reiter der thebanischen Armee. Sie hatten im Hafen von Rhamnus auf ihn gewartet und sich ihm gegenüber verhalten, als wären sie eine Ehrengarde und keine Gefangeneneskorte. Allerdings blieben sie sehr zurückhaltend, wobei Philipp nicht wissen konnte, ob aus Hochachtung vor ihm oder aus einem anderen Grund. Das Mittagessen hatte er nur in Gesellschaft des Offiziers eingenommen, während die anderen etwas abseits vor ihren Provianttaschen saßen und die beiden nicht beachteten. Er fand dieses Verhalten für Soldaten einer Demokratie sehr eigenartig – in Makedonien war sich nicht einmal der König selbst zu schade, zusammen mit dem geringsten seiner Untertanen aus dem gemeinsamen Kochtopf zu essen.
    Er mußte immer wieder an Arsinoe denken. Was sie jetzt wohl von ihm hielt? Wahrscheinlich stellte sie sich vor, er habe gewußt, daß man ihn wegschicken würde, und sie ganz beiläufig genommen, um sich dann ohne ein Wort oder eine Geste davonzuschleichen. Wahrscheinlich haßte sie ihn jetzt.
    Und dort, am anderen Ende dieser Ebene, lag funkelnd in der Sonne Theben: der Ort seines Exils. Der Anblick der Stadt schmerzte in seinen Augen.
    »Sie ist wunderschön, nicht, mein Prinz?« fragte der Offizier, der Philipps Eskorte befehligte, ein Mann namens Galeon, der, obwohl kaum zwanzig, bereits an vier Feldzügen teilgenommen hatte und mit Pelopidas in Makedonien gewesen war. »Sie ist die Königin der Städte, so kultiviert wie Athen und so kriegerisch wie Sparta. Innerhalb dieser Mauern wirst du viel Bewundernswertes finden.«
    »Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich sie auch weiterhin nur aus der Ferne hätte bewundern können«, entgegnete Philipp. Galeon tat so, als fände er diese Antwort sehr erheiternd, und sein Lachen überdeckte, worüber sonst peinlich geschwiegen worden wäre.
    In den Bergen hatte ein leichter Wind die Hitze etwas gemildert, doch in der Ebene, durch die sie nun ritten, schien selbst die Luft verdorrt und verbraucht zu sein. Die Erntezeit war vorüber, und zwischen den kurzgeschorenen Stoppeln der Felder zeigte sich die nackte Erde. Aber Philipp fiel auf, daß die Bewässerungsgräben noch schwarz waren vor Schlamm, Wasser mußte es also im Überfluß gegeben haben. Die Bauernhöfe am Wegesrand schienen gut in Schuß zu sein, sie waren umgeben von Weinstöcken und Olivenbäumen, und die Tiere, die hier und dort abweideten, was die Sense übriggelassen hatte, waren fett und geschmeidig. Es war offensichtlich, daß die Böoter in Wohlstand lebten.
    Ebenso offensichtlich war, daß sie Maßnahmen ergriffen hatten, um diesen Wohlstand zu verteidigen. Die Straße, die sich schmal und gerade unter den Hufen der Pferde

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