Der Makedonier
erstreckte, war wie geschaffen für eine Familie, die in den Schutz der Stadtmauern floh, bot aber einer angreifenden Armee nicht die geringste Deckung. Und auch die Mauern, die sich direkt von der Kante einer steilen Klippe erhoben, waren nicht leicht zu erstürmen. Alle Vorteile des Geländes und der Bauweise lagen beim Verteidiger, so daß die Stadt mit einer langen Belagerung vielleicht ausgehungert, aber, zumindest solange ihre Armee noch kampffähig war, niemals im Sturm genommen werden konnte.
Die Straße wurde so steil, als sie sich den Stadtmauern näherten, daß Philipp sich schon überlegte, ob er absteigen und zu Fuß gehen sollte, um sein Pferd zu schonen. Aber seine Eskorte machte keine Anstalten, abzusitzen, und ihre Pferde, die kleiner waren als die der Makedonier und beinahe wie Fohlen wirkten, schienen an diesen steilen Anstieg gewöhnt.
Als sie das Haupttor erreichten, trat ein Mann aus dem Schatten und kam auf sie zu. Er war mittleren Alters und unterschied sich, wenn man von der ruhelosen Intelligenzin seinen Augen absah, in nichts von den anderen. Er trug einen einfachen braunen Soldatenumhang, der, nach der Mode im südlichen Griechenland, den rechten Arm freiließ, den linken aber bis zum Handgelenk bedeckte. Mit seiner rechten Hand half er Philipp vom Pferd.
»Willkommen, junger Mann«, sagte er wie ein alter Bekannter. »Du wirst während deines Aufenthalts bei uns mein Gast sein. Ich bin Pammenes.«
Natürlich kannte Philipp den Namen. Sein Gastgeber war einer der Männer des Triumvirats, das in kaum mehr als zehn Jahren eine Armee geschaffen hatte, der in der Welt keine ebenbürtig war, und das Theben zu einem Staat gemacht hatte, der außer Athen keinen Rivalen kannte.
Pelopidas, Epameinondas und Pammenes: Noch als junge Männer waren sie, von einer von Sparta gestützten Oligarchie zunächst ins Exil getrieben, heimlich nach Hause zurückgekehrt, hatten sich, als Frauen verkleidet, unter die Gäste eines Gelages gemischt, mit dem die drei Polemarchen das erste Jahr ihrer Herrschaft feierten, und sie ermordet. Noch in der gleichen Nacht wurden auch alle anderen Sparta wohlgesonnenen Oligarchen in der Stadt aufgespürt und getötet.
Danach folgten vier Jahre des Krieges, in denen die Spartaner versuchten, ihre Herrschaft über Böotien wiederherzustellen, nach deren Ende jedoch die Welt mit Erstaunen ein geschlagenes und gedemütigtes Sparta sah. Die beste Berufsarmee Griechenlands unterlag einer kleinen, hastig zusammengestellten Bürgerwehr. Heerführer mit großer Erfahrung und einem überragenden Ruf sahen sich überwältigt von unbekannten Männern, die sie kaum als Soldaten anerkannt hätten. Theben trat als große Macht hervor, und das war allein das Werk von drei Männern.
Pammenes stammte aus altem thebanischem Geschlecht,aber seine Familie hatte in den Jahren der spartanischen Herrschaft alles verloren. Doch er schien seine Armut nicht zu bedauern, ja nicht einmal zu bemerken, als er an diesem ersten Abend seinen jungen Gast mit einem einfachen Mahl aus Ziegenfleisch und Hirsebrei bewirtete.
»Pelopidas hat dich in seinen Briefen oft erwähnt«, sagte er zu Philipp und füllte dessen Trinkschale neu mit übelschmeckendem unvermischtem Wein, der so dick war wie Pferdeblut. »Du hast Eindruck auf ihn gemacht. Das hat Ptolemaios ebenfalls, aber auf ganz andere Art. Es ist sehr schade um deinen Bruder, den König – so jung zu sterben und noch dazu durch die Hand eines Freundes, das ist wirklich bitter.«
Sein Gesicht blieb unverbindlich freundlich, während er das sagte, und seine Worte konnten alles und nichts bedeuten. Es war zu vermuten, daß es sich bei Pammenes um einen Mann handelte, der sich hinter seiner Unscheinbarkeit versteckte und sie trug wie eine Verkleidung.
»Bitter ja. Aber nicht unerwartet.«
Zuerst tat Pammenes so, als überraschte ihn die Antwort, doch dann zuckte er nur die Achseln und seufzte, als wäre das nur die letzte in einer langen Reihe vorhergesehener Enttäuschungen.
»Nein, nicht unerwartet«, entgegnete er und sah bemüht ins Leere. »Es war vermutlich weise von Pelopidas, darauf zu bestehen, daß auch Ptolemaios’ Sohn zu den Geiseln gehört, die uns ausgeliefert wurden, denn es ist für jeden von Vorteil, wenn der Ehrgeiz des neuen Regenten ein wenig beschnitten wird.«
Er kostete den Wein und verzog das Gesicht. Ptolemaios’ Ehrgeiz schien aus seinen Gedanken verschwunden, bis er dann wieder sprach.
»Wenn ich ehrlich sein
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