Der Makedonier
darf, Prinz, bin ich ein wenig überrascht, gerade dich hier in Theben zu sehen. DerRegent wird doch sicher den Kopf hängenlassen – oder vielleicht will er die Harmlosigkeit seiner Absichten unterstreichen.«
Philipp hatte offensichtlich ein verwirrtes Gesicht gemacht, denn sein Gastgeber lächelte.
»Dir ist doch sicher bewußt«, fuhr Pammenes fort, als erklärte er die Auflösung eines Rätsels, »daß deine Anwesenheit hier die beste Garantie für das Leben des neuen Königs ist. Ptolemaios’ Zuneigung zu seinem Sohn mag vielleicht nicht sonderlich groß sein, aber solange wir dich hierhaben, wird er Frieden halten und nicht versuchen, deinen Bruder Perdikkas zu beseitigen.«
Jetzt war es an Philipp zu lächeln. Er riß ein Stück von einem Brotfladen ab und tunkte damit den Fleischsaft von seinem Teller.
»Ich glaube, da täuschst du dich. Schneide mir die Kehle durch, Herr, und du wirst dem Regenten für den Rest seines Lebens teurer sein als ein Bruder.«
Wie um seine Behauptung zu unterstreichen, steckte er das Brot in den Mund und schluckte es, ohne zu kauen.
Pammenes schüttelte den Kopf.
»Einmal angenommen, mein junger Freund, der Regent ist mit der Ausübung der Macht allein nicht zufrieden. >Ich möchte König sein<, sagt er. Was würde er dann tun?«
»Perdikkas ermorden lassen«, antwortete Philipp und runzelte dann die Stirn, als verstünde er nicht, worauf Pammenes mit der Frage hinauswollte.
»Auf die Art, wie Alexandros ermordet wurde, so daß es keinen Lebenden gibt, den man dafür zur Verantwortung ziehen kann?«
»Ja, natürlich. Die Versammlung würde ihm Verrat nicht durchgehen lassen.«
»Aber angenommen, dein Bruder stirbt im Schlaf. Würde Ptolemaios sich dann der Krone sicher fühlen?«
Philipp kniff die Augen zusammen. Allmählich verstand er, wohin diese Fragen führten.
»Nein, das würde er nicht«, sagte er langsam. »Viele würden sich gegen ihn stellen, weil sie wissen, daß es da noch einen gibt, der von königlicherem Geblüt ist.«
»Und du bist derjenige?«
»Und ich bin derjenige.«
»Und du bist hier in Theben, Philipp.« Pammenes hob seine Trinkschale und schien sie in der Hand zu wiegen. »Und wir Thebaner kommen vielleicht zu der Einsicht, daß es für uns von Vorteil ist, deinen Anspruch auf den makedonischen Thron zu unterstützen. All das weiß der Regent, und deshalb ist das Leben deines Bruders sicher. Aber was hast du nur an dir, daß Ptolemaios’ Furcht vor dir noch größer ist als sein Ehrgeiz?«
»Wahrscheinlich nichts anderes als mein Wissen, daß das Blut meines Bruders an seinen Fingern klebt.«
»Und trotzdem bist du am Leben.« Nachdem Pammenes den Becher wieder abgesetzt hatte, ohne getrunken zu haben, lächelte er noch einmal, doch diesmal weniger herablassend. »Wie kommt das, Prinz?«
Philipp merkte plötzlich, daß er heftig errötete – weniger aus Scham denn aus einem Grund, den er nicht benennen konnte.
»Ptolemaios ist der Gemahl meiner Mutter«, sagte er schließlich. Er hatte gemerkt, daß er, wenn er zuvor tief und langsam durchatmete, die Worte sogar mit einem glaubhaften Anschein von Gelassenheit aussprechen konnte. »Soweit ich weiß, wärmt sie ihm zwar sein Bett, ist aber doch nicht so sehr von Liebe verblendet, daß sie den Mord an ihrem anderen Sohn nicht durchschaut. Vielleicht hofft der Regent jeden Abend, bevor er einschläft, daß er am nächsten Morgen in dieser Welt wieder aufwacht und nicht in einer anderen.«
Einen Augenblick lang betrachtete Pammenes ihn schweigend, und als er dann schließlich wieder sprach, war kein Lächeln mehr auf seinen Lippen.
»Ich verstehe jetzt, mein Prinz, warum Pelopidas soangetan war von dir«, sagte er. »Denn man merkt dir deutlich an, daß du das Zeug zu einem großen Mann hast. Noch nie in meinem Leben habe ich einen so jungen Menschen gesehen, dessen Blut so kalt durch seine Adernrinnt.«
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück wurde Philipp gesagt, er solle ausgehen und sich die Stadt ansehen. »Du bist in Theben kein Gefangener«, erklärte ihm Pammenes. »Wie könntest du auch ein Gefangener sein, wenn wir kein Interesse daran haben, deine Sicherheit zu gefährden, und all deine Feinde in Pella sind? Du bist mein Gast. Du kannst kommen und gehen, wann du willst, und niemand wird dich überwachen.«
Und das stimmte auch. Diesmal gab es keinen Zolfi, der hinter ihm herschlich, und nicht einmal die Wachen am Tor beachteten ihn. Sie schienen überhaupt nicht zu
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