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Der Makedonier

Der Makedonier

Titel: Der Makedonier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Guild
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aus, der klang wie der Fluch eines Dämons, und flog dann davon. Das ist ein sehr schlechtes Omen.«
    »Vielleicht auch nicht.« Glaukon runzelte die Stirnund strafte damit seine eigenen Worte Lügen. »Prinz Philipp hatte erst vor gut einem Jahr ein ähnliches Erlebnis. Die Eule hat ihm mit ihren Krallen sogar die Wange aufgerissen, und er hat seitdem viele Gefahren überstanden. Vielleicht ist es auch diesmal ein Segen der Götter.«
    »Ich glaube, diesmal nicht.«
    Geron streckte die Hand aus und öffnete die Finger. In seiner Hand lag ein poliertes, vorne zugespitztes Stück Bronze.
    »Das hatte die Eule in ihren Krallen. Sie hat es fallen lassen, bevor sie davonflog. Es wäre beinahe unter die Hufe von Ptolemaios’ Pferd gekommen.«
    »Was ist das?«
    »Die Spitze eines Jagdspeers.« Geron sah sich um, als wollte er sichergehen, daß niemand zuhörte. »Ich würde das keinem anderen Menschen sagen, Glaukon, aber wir beide sind schon seit unserer Kindheit Diener in diesem Haus. Ich glaube, Prinz Ptolemaios hat die Warnung erhalten, daß sein Tod nahe ist. Und ich glaube, er hat es auch so verstanden.«
    Einen Augenblick lang sah Glaukon aus, als hätte er ihn nicht gehört. Er schien über etwas anderes nachzudenken.
    »Welches Pferd hat er heute geritten?« fragte er schließlich.
    »Natürlich Philipps«, erwiderte Geron. Es war nicht klar, ob er über die Frage selbst erstaunt war oder über deren tiefere Bedeutung. »Den großen schwarzen Hengst.«
    »Alastor?«
    »Ja. Alastor. Dasselbe Pferd, das Philipp ritt, als…«
    »Ja – genau.«
    »Und wie hat der Hengst sich verhalten? Hat die Eule ihn auch erschreckt?«
    »Es wäre eigentlich zu erwarten gewesen, aber nein. Er war ruhig und wachsam, als würde er alles verstehen.«
    »Genau so«, sagte Glaukon, wie zu sich selbst.
    Er drehte sich um und ging zu dem Tor, das aus dem Palasthof hinausführte. Der Stallmeister rief ihm nach, doch er schien es nicht mehr zu hören.
    Zu Hause angekommen, setzte Glaukon sich auf den f-locker neben dem Herd, der einst Alkmene gehört hatte. Seit ihrem Tod saß er immer dort, wenn er Sorgen hatte. Etwa eine Viertelstunde lang rührte er sich nicht.
    »Was haben die Götter vor?« murmelte er schließlich. Der Klang seiner eigenen Stimme schien ihn aufzuschrecken. Er stand auf und ging in Philipps Zimmer.
    Als der Prinz so überstürzt in sein zweites Exil geschickt worden war, hatte er kaum Zeit gehabt, einige Kleidungsstücke einzupacken. Der ganze Rest lag noch in seinem Zimmer, in einer Truhe am Fuß des Betts. Glaukon hob den Deckel und nahm den dicken Umhang heraus, den Philipp getragen hatte, als er von den Illyrern zurückkehrte.
    Er legte ihn sich über den Arm und ging damit weg.
    Zu dieser Stunde waren die Stallungen nahezu verlassen. Es waren nicht mehr als sechs oder sieben Pferde in ihren Verschlagen, und Stallburschen waren nirgends zu sehen. Aber dem Haushofmeister hätte sowieso niemand das Recht streitig gemacht, sich hier aufzuhalten.
    Er hörte den Hengst, bevor er ihn sah, sein leises, nervöses Wiehern, das weniger eine Herausforderung war als eine Warnung. Alastor stand im letzten Verschlag, hinter einem Gatter, das aussah, als wäre es erst vor kurzem verstärkt worden. Offensichtlich behandelten seine Pfleger ihn mit respektvoller Vorsicht.
    Alastor rollte die Augen, als er Glaukon sah, und blähte drohend die Nüstern. Ein Hufschlag gegen das schwere Holzgatter ließ es erzittern, als wäre es aus Stroh.
    Als Mitglied des königlichen Haushalts hatte Glaukon sein ganzes Leben mit Pferden verbracht. In seiner Kindheit hatte er als Stallbursche gedient und war zwischen den Beinen der königlichen Schlachtrosse umhergelaufen, als wären sie so leblos und ungefährlich wie Tischbeine. Pferde waren ihm vertraut, und keines flößte ihm auch nur die geringste Angst ein. Keines außer Philipps prächtigem schwarzem Hengst.
    Das Pferd wieherte – ein tiefes, kehliges Geräusch, das sehr bedrohlich klang –, die Muskeln unter seinem schwarzen, glänzenden Fell zuckten, und Glaukon spürte den kupfernen Geschmack der Angst auf seiner Zunge. Es bestand zwar keine besondere Gefahr, da der Verschlag aus armdicken Eichenstangen bestand, aber er hatte trotzdem Angst. Manche Tiere, wie auch manche Menschen, verbreiten einfach eine Atmosphäre der Angst.
    Glaukon nahm Philipps Umhang, legte ihn über das Gatter und trat zurück.
    Das zeigte sofort Wirkung. Alastor wurde ruhig. Er trat einen Schritt vor und

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