Der Makedonier
beschnupperte den Umhang.
»Du erinnerst dich also«, murmelte Glaukon. »Du erinnerst dich an deinen wahren Herrn. Du hast ihn nicht vergessen.«
Er holte einen Apfel aus der Tasche seiner Tunika und schnitt mit einem Messer ein Stück ab. Der Hengst fraß ihm aus der Hand. Und er wehrte sich auch nicht, als Glaukon ihm die Schnauze streichelte.
»Eines Tages wird er zu uns zurückkommen. Und dann werden wir sehen, was die Götter vorhaben.«
18
ICH BRECHE MORGEN früh nach Athen auf. Es gibt da einen Vertrag zu erneuern, und ich bin verpflichtet, diese Reise zu machen. Die Athener statten ihre Abgesandten nie mit wirklicher Entscheidungsbefugnis aus, und deshalb geht man entweder selbst hin, oder man nimmt tausend Verzögerungen in Kauf. Hast du Lust, mich zu begleiten?«
Die Einladung wurde ganz beiläufig ausgesprochen, während des Abendessens, als Pammenes gerade mit einem Stück Brot die Soße in seiner Schüssel auftunkte. Sein Gesicht, das beherrscht wurde von seiner langen Oberlippe und seiner Knollennase, war sehr konzentriert, denn er war ein Mann, der das Essen ernst nahm.
»Ja – natürlich. Vielen Dank, das würde ich sehr gern.«
Pammenes hob den Kopf und lächelte, allerdings nicht ohne eine gewisse Schalkhaftigkeit. »Gut. Vielleicht wirst du feststellen, daß Athen lohnender für dich ist, und das arme Theben in Ruhe lassen. Es ist eine Tagesreise über Land und zwei mit dem Schiff, weil der Weg über die Berge zu schwierig ist. Außerdem sollte jeder, der Athen zum erstenmal sieht, es von der Seeseite kennenlernen.«
Er nahm den Weinkrug in die Hand und wollte eben Philipp nachgießen, schien es sich dann aber anders zu überlegen.
»Wir werden vor Sonnenaufgang aufbrechen, um möglichst die Mittagshitze zu vermeiden, und es ist nicht angenehm, im Dunkeln mit Schädelbrummen aufzuwachen – vielleicht haben wir beide für heute abend genug getrunken.«
Eine Stunde später lag Philipp im Bett, und der Schädel brummte ihm, aber nicht vom Wein, sondern von den Gedanken an die Reise und an Athen. In seiner Vorstellung erhob es sich als weiße, vollkommene Stadt, makellos und gekrönt von Licht. Seine Säulen glänzten im Sonnenschein, der wie eine Wohltat des Himmels war. Die Straßen waren bevölkert von Philosophen, Dichtern und Staatsmännern, deren Weisheit durch Tempel und Höfe hallte. Athen schien so weit entfernt von dem Leben, das er führte, wie der Olymp selbst, denn auch die Stadt war von Göttern bewohnt.
Der Beginn ihrer Reise führte sie über staubige, mit Steinen übersäte Straßen, bis sie nach vielen ermüdenden Stunden die Köpfe hoben und eine Seeschwalbe sahen, die mit weit ausgebreiteten Flügeln über ihnen schwebte.
»Wir werden bald in Rhamnus sein«, bemerkte jemand. »Heute abend werden wir Tintenfisch und Muscheln essen – ich kann schon fast das Meer riechen.«
Wenige Augenblicke später hatten sie den Gipfel eines Hügels erreicht und sahen unter sich den Euböischen Golf im Sonnenlicht funkeln.
Die Schiffsreise führte sie zunächst nach Carystos, wo sie übernachteten, und dann, in einem langen Bogen um die attische Halbinsel herum, nach Athen.
Sie erreichten die Stadt eine Stunde vor Sonnenuntergang, und das rote Licht der Dämmerung strömte über die Akropolis, so daß ihre marmornen Gebäude, die eigentlich von einem blassen, gelblichen Grau waren, aussahen wie mit Blut befleckt.
»Was ist das?« fragte Philipp, der mit der einen Hand die Augen beschirmte und mit der anderen auf ein wuchtiges Säulengeviert ganz oben auf dem Gipfel des Hügels zeigte.
Aus irgendeinem Grund schien Pammenes die Frage zu belustigen.
»Das, mein Prinz, ist der Tempel der Athena Parthenos, der Schutzgöttin der Stadt. Er ist den mühsamen Anstieg wert, denn er ist das vielleicht prächtigste Gebäude in ganz Griechenland, und die Statue der Göttin zählt zu den Wundern dieser Welt.«
»Dann werde ich morgen dorthin gehen und der Herrin mit den blauen Augen opfern.«
»Hast du sie dir vielleicht auch als Schutzgöttin ausgesucht, Philipp? Willst du, daß sie dich liebt, wie sie Herakles geliebt hat? Bist du sogar in deiner Anbetung ehrgeizig?«
Hatte Pammenes beabsichtigt, Philipp zu necken, sohatte er sein Ziel verfehlt. Denn Philipp drehte ihm nur das Gesicht zu und sah ihn mit einem Ausdruck an, den Pammenes trotz seiner langjährigen Menschenkenntnis nicht entziffern konnte.
»Ich habe mir nichts ausgesucht«, sagte Philipp schließlich
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