Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
nichts mit Ihnen zu tun. Und ich habe nicht das Recht, in Ihrem Beisein Ihren Gemahl…« Er verstummte erneut, als er sie Platz nehmen und mit wenig graziösen Bewegungen auf dem Stuhl herumrutschen sah, bis sie eine bequeme Haltung gefunden hatte. Es war ein wolkenverhangener Tag, und das diffuse Licht, das durch das Fenster hereinfiel, verlieh ihren Zügen etwas Geheimnisvolles, das er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Nur für einen Moment, dann veränderte sie ihre Position, und dieses mysteriöse Etwas war wieder verschwunden.
Es ist eine Frage des Lichts, wurde ihm klar. Er musste sie an solchen wolkenreichen Tagen porträtieren oder bei Dämmerung.
»Es tut Francesco nur gut, wenn er hin und wieder einmal in seine Schranken gewiesen wird«, sagte Lisa del Giocondo. »Er scheint bisweilen zu denken, ganz Florenz müsse vor ihm buckeln. Seine Ämter bei der Signoria sind ihm etwas zu Kopf gestiegen.« Sie sah Leonardo an. »Ich hörte, dass es eine große Ehre ist, von Ihnen porträtiert zu werden.«
»Und eine Qual.«
»Oh, ich kann gut stillsitzen, stundenlang, wenn es sein muss. Ich habe ohnehin nicht viel zu tun.«
»Sie haben aber doch Kinder, soweit ich weiß?«
»Zwei Söhne, aber für sie haben wir eine Amme. Wir hätten auch noch eine Tochter haben können, doch sie wurde tot geboren.«
»Das tut mir leid.« Leonardo griff zu Lineal und Zirkel, um Konturen und Proportionen von Lisas Kopf und Gesicht zu vermessen. Als er sich zu ihr beugte, nahm er einen leichten Honiggeruch wahr.
»Darf ich fragen, wozu Sie das machen?«
»Proportionen sind außerordentlich wichtig. Die Ihren sind nahezu ideal, wenn ich das sagen darf.«
»Ich bin für alle Komplimente offen, Meister da Vinci. Meinen Sie, dass es Ihnen gefallen würde, mich zu malen?«
Leonardo nickte langsam und nachdenklich. »Ich sah vorhin etwas in Ihren Zügen…« Er trat zwei, drei Schritte zurück. »Würden Sie Ihren Kopf bitte ein wenig nach rechts drehen, vom Fenster weg?«
Lisa tat, um was er sie gebeten hatte. Doch dieser Hauch des Mysteriösen kehrte nicht wieder. Hatte er ihn sich womöglich nur eingebildet? Er musste plötzlich an seinen alten Lehrmeister Verrocchio denken. Der hatte ihm mehr als nur einmal eingeschärft, dass das Gesicht nur ein Schleier sei und der wahre Meister sich dadurch auszeichne, dass er wiedergeben könne, was sich unter diesem Schleier verbarg. Er selbst nannte diesen Schleier immer eine Maske.
»Ich werde demnächst einen Karton mit Ihren Zügen anfertigen. Danach muss ich noch einige Studien machen, die etwas Zeit in Anspruch nehmen können. Werden Sie also bitte nicht ungeduldig, wenn Sie – beziehungsweise Ihr werter Gemahl – länger, als Ihnen lieb ist, nichts von mir hören.«
Lisa erhob sich. »Meine Neugierde ist jedenfalls geweckt. Mein Mann versteht etwas von Kunst. Wenn er sich also von Ihnen brüskieren lässt, muss er Ihren künstlerischen Wert schon sehr hoch veranschlagen.«
Meinen Wert , dachte Leonardo. Lisa benutzte bewusst oder unbewusst genau das richtige Wort. Giocondo war in erster Linie Geschäftsmann und wusste, was die Werke von Meistern mit der nötigen Berühmtheit wert waren. Genauso wie Isabella d’Este, deren Porträt nach wie vor zwischen anderen unvollendeten Arbeiten stand.
»Soll ich jemanden rufen, der Sie nach Hause bringt?«
Lisa schüttelte den Kopf. »Es ist nicht weit, und ich möchte ohnehin noch auf den Markt gehen.« Sie bedeckte ihr Haar mit dem modischen schwarzen Schleier, den sie bei ihrem Kommen abgelegt hatte. »Wenn Sie mich brauchen, schicken Sie einen Kurier«, sagte sie noch, bevor sie ging.
Leonardo schaute ihr grübelnd nach, als sie sich gemächlich entfernte, bis sie zwischen anderen Passanten verschwunden war.
»Und?«, fragte di Credi gespannt. Er hatte sich hinter Leonardo gestellt und schaute mit ihm nach draußen.
»Ich will ein paar Dinge ausprobieren.«
Weitere Erläuterungen gab Leonardo nicht, zumal er sich selbst noch nicht im Klaren war. Lisa del Giocondo hatte etwas, das war ihm jetzt aufgegangen. Aber er wusste noch nicht, was dieses Etwas war.
In den nächsten Tagen und Wochen befasste sich Leonardo mit der Zusammenstellung eines Kartons für das Porträt. Zusammenstellung war wirklich das zutreffende Wort, denn er baute verschiedene Bildelemente ein, die er seit längerem vor Augen hatte. Die Hände von Isabella d’Este zum Beispiel und die majestätische Bergkulisse des Arnotals bei Buriano, die er auf einer
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