Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
nur so, dass ich noch immer auf dieses besondere Lächeln von dir warte.«
Jetzt lächelte sie, aber es war nicht das Lächeln, das er suchte. »In den kommenden Tagen kannst du mich so oft sehen, wie du möchtest, denn ich muss im Moment auf niemanden Rücksicht nehmen. Nun ja, geklatscht wird ohnehin immer. Schick mir einen Kurier, wann immer du mein Lächeln studieren möchtest.«
»Lisa… Ich versuche nicht, dir den Hof zu machen.«
»Ich wusste schon, dass heute nicht mein Tag ist!«, sagte sie so ernst, dass er wahrhaftig kurz dachte, sie meine es wirklich.
Und dann umspielte für einen Moment wieder dieser mysteriöse Ausdruck ihre Lippen. »Auf Wiedersehen, Meister.« Sie drehte sich um und ging.
Leonardo schaute ihr nach und griff automatisch zu seinem Skizzenbuch.
Eine Woche später tauchte Lisa unerwartet in der Werkstatt auf. »Wolltest du dich nicht häufiger mit mir unterhalten?«, begrüßte sie Leonardo herausfordernd, als Lorenzo di Credi ihn geholt hatte.
»Tut mir leid, Lisa, ich war ganz und gar in die Arbeit vertieft.« Leonardo fuhr sich rasch durch das zerzauste Haar. »Von daher auch mein derangiertes Aussehen«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Die Arbeit? An meinem Porträt, hoffe ich doch?«
»Dem Karton dazu, ja.«
»Du scheinst nicht erfreut, mich zu sehen, oder täusche ich mich?«
» Wenn er einmal bei der Arbeit ist, vergisst er gleich jede Form von Höflichkeit«, sagte di Credi, der bei ihnen stehen geblieben war.
Leonardo blitzte ihn verärgert an. »Hattest du nicht Dringendes zu erledigen?«
»Genau das meine ich«, sagte di Credi und entfernte sich.
»Darf ich sehen, was du gemacht hast?«, bat Lisa.
»Ach, es sind nichts als unzusammenhängende Ideen oder auch nur Ansätze dazu. Dinge, die man aus dem Augenwinkel gesehen zu haben meint, die aber verschwunden sind, wenn man genauer hinschaut.«
»Das verstehe ich nicht. Du solltest doch nur mein Porträt malen?«
» Nur dein Porträt«, höhnte Leonardo.
Lisa schloss kurz die Augen. »Entschuldige, Leonardo. Ich wollte dich nicht… Ich sagte ja schon, dass ich nicht viel davon verstehe.«
Seine Verärgerung legte sich, als er ihre Verwirrung sah. »Lorenzo hat recht. Wenn ich arbeite, scheine ich meine Manieren zu vergessen. Aber in diesem Stadium ist es mir wirklich lieber, dass du noch nicht siehst, was ich mache. Das bringt Unglück.«
»Warum glaube ich dir das nicht?«
Er zuckte die Achseln. »Weil es gelogen ist. Das ist das Problem, wenn man höflich sein möchte. Gute Manieren bestehen größtenteils aus Lüge und Heuchelei.«
»Und was ist dann der wahre Grund?«
»Meine Vorarbeiten sind allein für meine Augen bestimmt.«
Lisa nickte seufzend. »Das werde ich wohl so hinnehmen müssen, wenn auch unter stummem Protest.« Sie schaute sich um. »Gibt es hier irgendwo ein Fleckchen, wo wir…« Sie hielt inne, als Leonardo ungeduldig den Kopf schüttelte.
»Ich würde jetzt gerne weiterarbeiten, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Es macht mir aber etwas aus.«
»Selbst dann.«
Lisa sah ihn einige Augenblicke lang unsicher an. »Entschuldige die Frage, Leonardo, aber sie brennt mir auf den Nägeln: Bist du etwa… äh… Tja, wie soll ich das jetzt formulieren?« Ihr war sichtbar unbehaglich zumute.
Leonardo zögerte kurz und erwiderte dann behutsam: »Kein Künstler, der es verdient, so genannt zu werden, ist blind für Schönheit, Lisa. Wie auch immer sie geartet ist.«
»Hm, das nennt man wohl eine unverbindliche Antwort, nicht wahr?«
»Es ist, wie es ist.«
»Anfang nächster Woche wird Francesco wieder zu Hause sein.«
»Ja… und?«
»Das bedeutet für mich weniger Bewegungsfreiheit.«
»Das tut mir leid für dich.«
Lisa schüttelte langsam den Kopf. »Willst du denn nicht verstehen?«
»Darf ich fragen, wovon du sprichst?«
»Ach, zum Teufel!«, zischte Lisa kaum hörbar. Sie drehte sich mit einer unmutigen Bewegung auf dem Absatz um und ging grußlos hinaus.
Leonardo kehrte in gedrückter Stimmung an seinen Arbeitsplatz zurück. Vielleicht hätte ich mich geschmeichelt fühlen sollen, wurde ihm vage bewusst. Doch er hütete sich aus gutem Grund vor emotionalen Verwicklungen, zumal sie nicht ungefährlich sein konnten.
Er blieb geraume Zeit nachdenklich vor der Zeichnung auf seiner Staffelei stehen. Sie zeigte die minutiöse Studie eines Frauenmunds mit der Andeutung eines Lächelns. Eines Lächelns, das vielleicht nie zur Entfaltung kommen würde, aber gleichwohl eine
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