Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
etwas anderem.«
Unvermittelt fragte er: »Was ist dein Geheimnis, Lisa?«
Sie suchte seinen Blick, war aber allem Anschein nach gar nicht überrascht. »Wie meinst du das?«
»Ich habe schon Hunderte Male versucht, dein Lächeln einzufangen, aber es ist mir bisher nicht gelungen.«
»Mein Lächeln? Was ist so Besonderes daran?«
»Wenn ich das wüsste, könnte ich es wohl auch zeichnen.«
»Wolltest du mich deshalb sehen?«
»Ich werde dich noch häufiger sehen müssen.«
» Müssen ? Das klingt ja, als grauste dir davor.«
Leonardo musste schmunzeln. »Du bist nicht auf den Mund gefallen, Lisa.«
»Ach, in einem Handelshaus bekommt man einiges zu hören. Das schult. Aber Francesco hält nicht viel von mündigen Frauen. Ich vermute, sie sind ihm nicht geheuer.«
Sie folgte dem Blick Leonardos, der selbstvergessen einer jagenden Seeschwalbe über dem Wasser nachschaute. »Hast du eine Frau, Leonardo?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Keine Frau, keine Kinder, keine Familie, nichts.«
»Bedauerst du das?«
»Manchmal schon, meistens nicht.«
»Ach, du brauchst auch keine Angehörigen, du wirst durch deine Werke in Erinnerung bleiben.«
»Vielleicht, eine Zeitlang…«
»Francesco sagt, du hast schon einiges für die Ewigkeit geschaffen.«
»Für die Ewigkeit? Das ist doch Humbug! Wir sind nicht einmal imstande, den Begriff ›Ewigkeit‹ zu definieren. Weil die Ewigkeit für uns genauso unfassbar ist wie das Nichts oder das Universum. Und somit sind diese Begriffe Humbug. Ich habe im Buch eines Philosophen gelesen, dass wir uns nur solche Dinge vorstellen oder ausdenken können, die in der Natur möglich sind, weil wir selbst Teil dieser Natur sind. Ergo kann es das, was wir uns nicht vorstellen können, auch nicht geben. Wie eben die Ewigkeit.« Oder der Himmel oder die Hölle oder ein Gott, dachte Leonardo. Aber das sagte er lieber nicht laut, solange er Lisa nicht gut genug kannte.
Zögernd sagte sie: »Ich fürchte, das verstehe ich nicht ganz.«
Er winkte ab. »Ich vielfach auch nicht. Die Beschränktheit unseres Hirns ist wirklich erschreckend.«
»Redest du mit all deinen Modellen so?«
»Mit den meisten nicht.«
»Dürfte ich mir einmal bisherige Porträts von dir anschauen?«
»Die, die ich noch bei mir habe, sind unvollendet.«
»Also nicht«, konstatierte Lisa seufzend.
Leonardo blickte um sich herum, als suchte er irgendwo nach einem neuen Gesprächsgegenstand. »Genau hier bin ich als junger Mann einmal von Straßenräubern überfallen worden.«
»Konnten sie schwimmen?«
Leonardo lachte. »So weit ist es nicht gekommen, obwohl ich einen von ihnen tatsächlich fast über das Geländer geworfen hätte. Die Nachtwache kam mir und ihnen zu Hilfe.«
»Junge Männer sind oft noch so… so unfertig. Ich bevorzuge die reiferen.«
»Ich wäre lieber unfertig als reif.«
»Sind alle Künstler derart mit ihrem Alter beschäftigt?«
»Hm… Ich glaube, wir sind uns mehr als andere des Verfalls bewusst. Bei unserer Arbeit befassen wir uns eben viel mit dem Äußeren.«
»Warum sich über etwas grämen, was ohnehin nicht zu ändern ist?«
Leonardo nickte. »Das sagt die Vernunft. Aber wir werden leider nicht nur von der Vernunft geleitet.«
»Leider, sagst du. Würdest du denn gern frei von Gefühlsregungen leben? Du, als Künstler?«
»Nein, natürlich nicht. Nur… Ach, manchmal weiß ich überhaupt nichts mehr.« Leonardo klang plötzlich irritiert, als sei er Lisas Fragen leid.
Sie spürte das. »Ich habe dich zu lange aufgehalten«, folgerte sie, richtete sich auf und ordnete ihren Schleier.
»Nein, nein, das ist es nicht. Was mich ungehalten macht, sind meine eigenen Unzulänglichkeiten. Und die empfinde ich als immer gravierender, je älter ich werde. Obwohl man doch eigentlich das Gegenteil erwarten sollte.«
»Ich hoffe, mein Porträt ist fertig, bevor du gänzlich ungenießbar wirst.«
Er schmunzelte amüsiert, und sogleich hob sich auch seine Stimmung wieder. »Dein werter Gemahl sollte sich glücklich schätzen mit einer Frau wie dir«, sagte er.
»Ich freue mich, dass du es so siehst, Leonardo. Aber Francesco hat andere Vorstellungen.«
Leonardo musste eine für ihn ungewohnte Scheu überwinden, bevor er sich zu sagen traute: »Ich würde mich gerne häufiger mit dir unterhalten, Lisa. Unabhängig von… von der Arbeit.« Er zog ein Gesicht, als sei er über seine eigenen Worte erschrocken.
»Langweilst du dich denn so sehr?«
»Ich langweile mich nie. Es ist
Weitere Kostenlose Bücher